Spritzenfreier Knast

■ Pläne für Drogenarbeit in Haftanstalten: Schutz für Abstinente, Hilfe für Suchtkranke/ Neuer Drogenstaatsanwalt

Berlin. Einwegspritzen wird es in Berliner Knästen weiterhin nicht geben. Das sagte Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) gestern auf einer Pressekonferenz zur Neukonzeption für Drogenarbeit in den Haftanstalten. Sie verwies auf den letzten Senatsbeschluß, betonte aber, daß das neue Betäubungsmittelgesetz diese Möglichkeit zugestehe. Die Frage nach den Spritzen sei eine gesundheitspolitische, deren Konsequenzen für andere Bereiche nicht ausreichend diskutiert seien. „Bei der Drogensucht handelt es sich um eine Krankheit, nicht um eine kriminelle Neigung“, sagte die Justizsenatorin. In Berlin werde man wie bisher von dem Prinzip „Therapie vor Strafe“ ausgehen.

Derzeit befinden sich nach Erkenntnissen des ärztlichen Dienstes allein unter den 1.200 Insassen der Justizvollzugsanstalt Tegel etwa 300 erkannte Drogenabhängige.

„Solange es das Drogenproblem in der Gesellschaft gibt, gibt es auch ein Drogenproblem in den Haftanstalten“, sagte Jugendsenator Thomas Krüger (SPD). Der Maßregelvollzug, der fälschlich davon ausgehe, man könne mit zwangsweise eingewiesenen Drogenabhängigen therapeutisch arbeiten, sei teuer, ineffektiv und habe sich desavouiert. Das neue Konzept setze vor allem auf die eigene Motivation der Gefangenen und eine differenzierte Sicht ihrer Problemlagen und versuche so, eine Perspektive zu erarbeiten.

Grundlage für die Neukonzeption sollen die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe aus Praktikern aus Justizvollzug und Drogenhilfe bilden, die vom Landesdrogenbeauftragten Wolfgang Penkert vorgestellt wurden.

Mehr Differenzierung solle den unterschiedlichen Problemstellungen konzeptionell und strukturell Rechnung tragen. Das Betreuungs- und Beratungsangebot solle verbessert werden. „Wir brauchen aufsuchende Arbeit, bei der Sozialarbeiter sich frei bewegen, im Alltag Kontakte knüpfen und eine weitgehende Begleitung anbieten können“, so Penkert. Für Abstinente und Behandlungsmotivierte sollten drogenarme Wohn- und Aufenthaltsbereiche eingerichtet werden, in denen die Insassen vor Versuchungen und Erpressungsversuchen geschützt würden. Erstinhaftierte sollen mit Videos über die Gefahren des Drogenkonsums und der HIV-Infektion aufgeklärt werden. Die Vernetzung zwischen Anstalten und dem externen Drogenhilfesystem soll intensiviert werden. „Drogengefährdeten Gefangenen müssen künftig größere Anreize für drogenfreies Verhalten geboten werden“, sagte Penkert. Hierbei spiele die Perspektive nach draußen eine entscheidende Rolle. Gesetzliche Möglichkeiten wie Vollzugslockerung, Strafaussetzung und vorzeitige Entlassung sollten ausgeschöpft werden. „Letztes Ziel ist dabei, in absehbarer Zeit rauszukommen und aus eigener Kraft ein drogenfreies Leben draußen zu führen.“ Für die Einschätzung der eigenen Fortschritte seien „realitätsgerechte“ Erfahrungsfelder nötig. Besuche bei der externen Drogenberatungsstelle sowie offener Vollzug könnten drogengefährdete Gefangene auf die Entlassung vorbereiten.

Das Polamidon-Substitutionsprogramm für Inhaftierte solle erweitert werden. „Wir halten daran fest, daß Substitution eine ärztliche Einzelfallentscheidung bleiben muß.“ Für Substituierte soll ein geschützter Bereich mit psychosozialer Betreuung geschaffen werden. Penkert plädierte dafür, eine zentrale Staatsanwaltschaft für Drogendelikte einzurichten, um die Verfahren zu beschleunigen. cor