Zwischen den Rillen
: Fischen und Jagen (usw.)

■ Immer noch freewheelin': Dylan, Cohen, Young mit neuen Platten

Eigentlich war Dylan ja kein Thema mehr. „Durch“, wie man so sagt, nach all dem Trubel um seinen fünfzigsten Geburtstag, dem hohlen Madison-Square- Garden-Spektakel und einer allgemeinen Erlahmung der Dylan- Exegese. Da kündigte sich das Erscheinen von „Good As I Been To You“ an, und siehe, die Dylanologen fanden mit einem Schlag zu ihrer Sprache zurück. Jeder für sich erhob sich aus seiner Diaspora, pries das Werk schon vorab als wunderbar gebrochenen Ausdruck des „postmusikalischen, postliterarischen Dichters“ (D. Diederichsen) oder auch als unverwechselbares „Original“, das „irgendwie aus der Zeitmaschine“ zu kommen schien (ME/Sounds). Einige schreckten sogar nicht davor zurück, in längst totgeglaubten Zungen von einem „möglichen Gegenentwurf gegen die Gesellschaft des utopiefreien Ja“ (Süddeutschen-Kritiker Bruckmaier im Spiegel) zu sprechen, vielmehr zu singen: Bob Zimmermann als post-postmoderner Religionsstifter, ein' feste Burg sei unser Dylan.

Wer unter 30 ist und nicht schon ein wenig eingeweiht in die Feinheiten von Vita und Lehre wird diesen Eifer der Auslegung kaum verstehen. Wie alles Heilige in diesen Zeiten kommt auch „Good As I Been To You“, seit ein paar Tagen endlich in den Läden, unscheinbar daher. Das Cover ist ärmlich, die Songs schmucklos. Dylan hat jegliches weltliche Gepränge abgelegt: keine Drums, kein Baß, überhaupt keine Begleitung. Bloß er selbst mit dem absoluten Survival Kit der Sechziger-Jahre-Sänger: Gitarre und Blues Harp. Nach einigen verhuschten Aktionen auf dem Griffbrett setzt sofort die Stimme ein, als wäre absolut keine Zeit, sich mit so nebensächlichen Dingen wie Arrangement oder Intro zu beschäftigen.

Auf „Good As I Been To You“ ist Dylan wieder der freewheelin' Bob Dylan seiner präelektrischen Phase, und natürlich ist es gerade dieses musikalische Barfüßertum, das Interpretation und Identifikation anzieht. Der Dichter als Bettelmönch, ein Rufer in der Wüste, der weit abseits der Königswege heutiger Popmusik von einigermaßen traurigen Gestalten singt: Diamond Joe, Black Jack Davey, Jim Jones, Frankie & Albert – alles mythische Loser-Typen, wie sie im Buch stehen (auch im Buch der Bücher), oftmals aber auch bloß mündlich überliefert sind: in Balladen und Traditionals, wie sie Dylan für diese Platte aufgelesen hat, 13 (!) an der Zahl und allesamt aus groben Akkorden geschnitzt. Mit der Zärtlichkeit eines wohlerhaltenen Dilettantismus werden sie heruntergeschrubbt, mal aggressiv wie in „Step It Up And Go“, mal gospelnd wie in „Hard Times“, mal kindlich- naiv wie in „Froggie Went A-Courtin'“ – tatsächlich so etwas wie eine gesungene Ethik der Verweigerung.

Bloß: Zur Kirchengründung langt das alles kaum, und nichts ist dieses karge Spätwerk weniger als „die Verheißung einer besseren Zukunft, eines Aufbruchs“ (Bruckmaier). The times they're not a-changing, wenigstens nicht zum Guten. Was „Good As I Been To You“ zur besten Dylan- Platte seit Jahrhunderten macht, ist ja gerade dieses Hoffnungslose, total Ahasver-mäßige: als seien die sechziger Jahre mit all ihren Verbesserungen und politischen Errungenschaften, obwohl sie so viele beeinflußt haben und auch heute noch fortlaufend zitiert werden, nie wirklich angekommen. „I'm sitting on top of the world“, singt ein 50jähriges Organ, aber die Stimmbänder verkünden das Gegenteil. „Ganz schön fertig“, hätte man früher gesagt – was mit das höchste Kompliment war –, und auch wenn „den Blues kriegen“ heute zu den abgegriffensten Wendungen der Hippie-Ära gehört: da ist er drin, der Blues.

„Harvest Moon“, die neue Neil Young, wurde in der gleichen Besetzung eingespielt wie das zwanzig Jahre zurückliegende Früh-Öko-Outlaw-Manifest „Harvest“. Auch eine „Rückkehr“ also, doch auf den ersten Blick eine weniger bittere. Satt kommen die Folk-Sounds, gut ausbalanciert die Stimme: „Somewhere on a desert highway she rides a Harley Davidson, her long long hair flowin' in the wind...“ („Unknown Legend“)

Eine Frau auf einem Motorrad mit langen Haaren, die im Fahrtwind flattern – das ist ja entsetzlich! Woodstock-Kitsch reinsten Wassers, hart an der Grenze zum ultimativ Blöden (siehe auch das Der-mit-dem-Wolf-tanzt-Cover, siehe auch die flammenden Predigten, die Young bei jeder Gelegenheit gegen den verderblichen Einfluß der CD auf den Klang von Gitarren hält, ganz Sound- Fundi der verbohrten Art).

Doch etwas Sektierertum muß bei einem Mann wie diesem schon in Kauf genommen werden, will man in den Genuß der Früchte der Beharrlichkeit kommen. „Harvest Moon“ ist eine Art Tribute to...-LP, mit der Young zentrale Glaubensinhalte junger amerikanischer Aussteiger der Frühsiebziger noch einmal auf sanfter Flamme hochköchelt: Fischen und Jagen undsoweiter. „One Of These Days“ versteht sich als Brief an all die „good friends“ von damals, „Such a Woman“ zelebriert Hippie- Liebe. Sentimentalischstes gilt auch einem Hund, der irgendwo unterwegs heldenhaft zu Tode gekommen ist („Old King“). Im Quintett mit den alten Kumpeln (und GastsängerInnen wie James Taylor oder Linda Ronstadt) treibt Young die gut arrangierte Sehnsucht allerdings zu jener inneren Grenze, wo Zweifel die Brust aufzurühren beginnen und bloß durch entschlossen elegisches Wiedertäufertum im Zaum gehalten werden: „It's a war of man, no one wins...“ Seufz! Eine Idylle, aber eine gebrochene – und sicher bloß die Rast vor dem nächsten Hungerkunststück.

Man soll sie ja nicht gegeneinander ausspielen, diese großen Alten, aber von Leonard Cohens neuem Album „The Future“ läßt sich Ähnliches leider nicht behaupten. Bis zur Unkenntlichkeit hat sich Cohen an irgendwelche Radio-Schlager-Marsch-Muzak- Beats assimiliert, klingt heute wie, sagen wir, Chris Isaak oder Robbie Robertson auf seiner völlig mißlungenen „Storyville“-LP. Was aber das Allerschlimmste ist: Er macht einen auf kehlig und rauh. Traurig stimmt es, dieses späte Knödeln, wo man einfachste, klarste Alterskost erwartet hätte; aber man muß wohl auch das als Willen eines erprobten und möglicherweise müden Kriegers hinnehmen: Begrabe mein Herz an der Biegung des Mainstreams. Thomas Groß

Bob Dylan: Good As I Been To You (Columbia/Sony)

Neil Young: Harvest Moon (Reprise/Warner)

Leonard Cohen: The Future (Columbia/Sony)