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Privatisierung? – Im Prinzip ja

...aber bitte nicht zu schnell, meint Rumäniens neue Regierung/ Die Reformen werden verzögert, West-Investoren halten sich zurück  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

„Es gibt zu wenige Reformen“, lautet die programmatische Devise von Adrian Severin, die zugleich sein persönliches Credo ist. Noch nach den rumänischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende September gab sich der ehemalige Staatsminister für Privatisierung und Direktor der Nationalen Privatisierungsagentur (ANP) optimistisch. Er sah den ökonomischen Reformprozeß nicht gefährdet, obwohl der reformunwillige Präsident Ion Iliescu wiedergewählt wurde und ultranationalistische Parteien bei den Wahlen einen Achtungserfolg erzielt hatten.

„Auf Dauer verpflichtet das Leben diese Leute, zu den Realitäten zurückzukehren. Demagogie kann keine Profession mehr sein, wenn man an der Regierung ist“, sagte der Politiker, der in Rumänien äußerst umstritten ist, weil er für einen radikalen ökonomischen Liberalismus eintritt, Ende Oktober in einem Gespräch mit der taz. Kurze Zeit später wurde Severin eines der ersten Opfer der neuen politischen Linie: Als der neue Ministerpräsident Nicolai Vacaroiu seine Regierung nominierte, verlor er seinen Job als Privatisierungsminister.

Was Adrian Severin und die ANP im Bereich der Privatisierung bis dahin auf die Beine gestellt hatten, kann sich durchaus sehen lassen. Bereits im August 1991 verabschiedete das Parlament ein ambitiöses Privatisierungsgesetz, und die ANP hat inzwischen ein Netz von Institutionen geschaffen, mit dem der Umwandlungsprozeß systematisch angegangen werden kann.

Der rumänische Staat wird 30 Prozent seines gesamten Unternehmensvermögens kostenlos an die Bevölkerung verteilen, die restlichen 70 Prozent sollen zum Teil an Großinvestoren verkauft werden, zum Teil dauerhaft beim Staat bleiben. Bereits 1991 sind alle Staatsbetriebe in rund 6.400 Kapitalgesellschaften überführt worden. Seit Juli dieses Jahres werden sie von einem Staats- und fünf privaten Eigentumsfonds verwaltet. Die Ausgabe von Eigentumszertifikaten an 16,5 Millionen erwachsene Rumänen, mit denen bei den privaten Eigentumsfonds Aktien erworben werden können, wird in Kürze beendet sein. Die Aktien werden später an der Börse frei handelbar sein.

Die ANP hat in allen Landesteilen Informations- und Beratungszentren eingerichtet und rührt in Broschüren und TV-Spots kräftig die Werbetrommel. In einem Pilotprojekt mit zwei Bukarester Taxiunternehmen und einer Winzerei aus der Provinz erprobt sie derzeit, wieviele Rumänen sich zum Tausch von Eigentumszertifikaten in Aktien motivieren lassen. Darüber hinaus arbeitet die Agentur an Plänen zum Aufbau eines Garantiefonds, der den Rumänen die Aufnahme von Bankkrediten erleichtern soll, wenn sie im Rahmen der kleinen Privatisierung Staatseigentum erwerben wollen.

So systematisch jedoch die Eigentumsumwandlung in Rumänien organisiert wurde – es scheint fast, als hätten sich ihre bisherigen Planer in Bukarest auf diese Weise über die eher geringen Erfolgsaussichten hinweggetröstet. Rumänien wird es sich angesichts leerer Staatskassen auf absehbare Zeit nämlich nicht leisten können, die Privatisierung mit größeren Summen zu fördern. Und bei ausländischen Investoren steht Rumänien keinesfalls oben auf der Prioritätenliste, weil die Vorteile des Landes, wie niedrige Lohnkosten und guter Ausbildungsstand der Arbeitskräfte, die Nachteile, wie politische Unsicherheit und schlechte Infrastruktur, nicht aufwiegen können. Ohnehin haben westliche Firmen bis jetzt insgesamt nicht mehr als 465 Millionen Dollar investiert. Daß Präsident Iliescu Anfang Oktober wiedergewählt wurde, hat Vorbehalte im Ausland von neuem verstärkt.

Wenn die ANP dennoch erste Erfolge verzeichnen kann, so verdankt sie dies der speziellen Konzeption des Modellprivatisierungsprogrammes, das nach neunmonatiger Vorbereitungszeit im Juni anlief und die Crème der rumänischen Unternehmen versammelt. Zwei der insgesamt 60 größeren Betriebe konnten schnell und unproblematisch privatisiert werden: die Brauerei Ursus aus Klausenburg und das Textilunternehmen Vranco aus Focsani.

Im Gegensatz dazu zeigt die kleine Privatisierung, bei der Kleinbetriebe, Hotels, Restaurants oder Geschäfte versteigert werden, was Rumänien bei der großen Privatisierung noch zu erwarten hat. Von der derzeit 6.000 Einheiten umfassenden Liste, die ständig erweitert wird, konnte die ANP zwar 1.000 Einheiten verkaufen. Dabei handelt es sich aber zumeist um Dienstleistungsunternehmen, nur 62 Betriebe sind im Produktionsbereich angesiedelt – die Gefahr, daß der Staat auf solchen Firmen ebenso wie auf zahlreichen Großbetrieben sitzen bleibt, ist groß. Bestimmte Industrien, wie etwa die gigantischen Raffineriekomplexe in Ploiesti oder das berüchigte Schwermetall- und Rußkombinat in Copsa Mica, das seine Umgebung in ein ökologisches Katatrophengebiet verwandelt hat, werden sich ausländische Investoren nicht einmal unverbindlich anschauen wollen.

Abschreckend dürfte auf sie auch das Wirtschaftsprogramm des neuen Ministerpräsidenten Nicolai Vacaroiu wirken. Der parteilose Ökonom hat zwar angekündigt, daß die Privatisierung auch weiterhin einer der vorrangigen Punkte der Wirtschaftspolitik bleiben werde. Bis zum Beweis des Gegenteils muß das jedoch als Lippenbekenntnis gelten, denn Vacaroiu, der unter Ceausescu zur mittleren Parteibürokratie gehörte, hat sich deutlich für eine Verlangsamung des Reformprozesses ausgesprochen. Dabei plädierte er für eine stärkere Kontrolle des Staates über die Wirtschaft. Zur Begründung führte er die sozialen Kosten der Umgestaltung an, die einkalkuliert werden müßten.

In der Bukarester Zentrale der ANP halten sich Mitarbeiter mit Kommentaren zur neuen Linie einstweilen bedeckt. „Bei uns läuft alles wie geplant, eine Änderung der Privatisierungspläne ist nicht vorgesehen“, gibt ein ANP-Sprecher lapidar zu Protokoll. Ob es tatsächlich bei dem bisherigen Fahrplan bleibt, wird sich in den kommenden Wochen herausstellen, wenn der neue Privatisierungsminister nominiert ist.

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