Kaum eine Chance für die Fristenregelung

Vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts beginnt die Anhörung zum §218/ Besetzung des Gerichts und Gutachten geben zu Pessimismus Anlaß  ■ Von Karin Flothmann und Barbara Ritter

Berlin (taz) – Die Fristenregelung ist längst gestorben. Klammheimlich wird bereits wieder an der Indikationsregelung gebastelt. So und ähnlich lauten die Einschätzungen von BeobachterInnen des Karlsruher Verfassungsgerichts vor der heute beginnenden, zweitägigen mündlichen Anhörung zur Neuregelung des Paragraphen 218. Tatsächlich geht es nicht nur um das Ja oder Nein zur Fristenregelung mit Beratungspflicht, sondern auch um die sozialen Begleitumstände für die betroffenen Frauen. Verhandelt wird neben den beiden neuen Klagen von 249 Unionsabgeordneten und der bayerischen Landesregierung auch die Normenkontrollklage Bayerns aus dem Jahr 1990. Diese Koppelung läßt vermuten, daß es dem Gericht sogar um die Verschärfung bisheriger Regelungen gehen könnte.

Längst sind Zweifel an der Legitimität einer Karlsruher Entscheidung aufgetaucht. Sieben Richter und eine Richterin, von Union und SPD bestellt und selbst zumeist parteipolitisch gebunden (siehe untenstehenden Artikel), urteilen über das künftige Abtreibungsrecht in Deutschland. RichterInnen aus den neuen Ländern sind überhaupt nicht vertreten, was gerade in diesem Fall schwer wiegt.

Der zuständige Zweite Senat gilt derzeit, im Vergleich zum Ersten, als weitaus konservativer. BeobachterInnen sprechen von einem optimistischen 8:0 oder einem realistischeren 6:2 Ergebnis pro Reform, wäre heute der erste Senat zuständig. Im Zweiten deutet jedoch alles auf einen 5:3-Entscheid gegen die Neuregelung hin. Zünglein an der Waage spielt dabei der von der SPD nominierte Richter Böckenförde. Stimmt er am Ende mit Nein, so ist das neue Abtreibungsrecht mit 5:3 Stimmen als verfassungswidrig gescheitert, stimmt er mit Ja, so rettet ein 4:4 die Reform. Denn bei Stimmengleichheit liegt kein Verstoß gegen die Verfassung vor.

Längst sind auch Zweifel an der Verhandlungsführung aufgekommen. So wurden zwei Richter, der Berichterstatter Winter und Richter Böckenförde, aufgefordert, wegen Befangenheit zurückzutreten. Als Berichterstatter ist Winter für die Vorbereitung des Verfahrens zuständig. Er bestellte zwei Gutachten, um „weitere Möglichkeiten außerhalb des Strafrechts“ aufzuzeigen, mit denen „die rechtliche Mißbilligung von Schwangerschaftsabbrüchen“ in anderen Bereichen, wie dem Arbeits-, Sozial- oder Familienrecht, ausgelotet werden kann.

Beauftragt wurde damit unter anderem Professor Rolf Stürner, Mitglied der „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ (JVL). Diese Vereinigung hatte kurz vor der diesjährigen Bundestagsdebatte zum Paragraphen 218 in der FAZ eine halbseitige Anzeige geschaltet: „Verfassungsrechtler gegen jede Fristenregelung“, unterschrieben von früheren Verfassungsrichtern wie Ernst Benda oder Peter Lerche, Vertreter der jetzigen Unionsklage.

Pro Familia verlangt darüber hinaus auch den Rücktritt des Richters Böckenförde, der von 1986 bis 1990 ebenfalls Mitglied der JVL war. Bei Pro Familia heißt es: „Ein Alptraum würde wahr, wenn dem bevorstehenden Paragraph-218-Urteil der Makel anhaftet, daß es unter maßgeblicher Einflußnahme eines verschworenen Bundes ideologisch fixierter Lebensschützer zustande gekommen wäre.“ Einen Befangenheitsantrag wird es jedoch nicht geben. Die Prozeßbevollmächtigten der Bundestagsmehrheit halten das Risiko einer Ablehnung für zu hoch.

Klageschriften und Stürners Gutachten legen schon im Vorfeld des Verfahrens eine Linie fest. Stürner versucht in seinem 144 Seiten starken Gutachten nicht über das Strafrecht, dafür über alle anderen Rechtsgebiete, gegen Abtreibungen zu mobilisieren. Nach dem Familienrecht, so stellt Stürner fest, könne der Ehemann „von der Ehefrau kraft ihrer Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich verlangen, daß sie das eheliche Kind austrägt“. Eine Differenzierung nimmt er hier lediglich hinsichtlich der Indikationen vor; „eine Eheverfehlung“ sei die „soziale Indikation“, insbesondere der „geheime Abbruch ohne Vorinformation“ des Gatten. Keine Eheverfehlung liege dagegen bei medizinischer und kriminologischer Indikation vor. „Hier könnte eher eine Eheverfehlung darin liegen, das aus einer Vergewaltigung hervorgegangene nichteheliche Kind zur Welt bringen zu wollen.“

Im Arbeitsrecht prüft Stürner die Aufhebung der Lohnfortzahlung und Kündigungsmöglichkeiten als Sanktionen gegen den Abbruch. Die Krankenkassenfinanzierung will Stürner nicht nur für den Eingriff selbst streichen, sondern auch für Untersuchung und Beratung, ausgenommen bei medizinischer, eugenischer oder kriminologischer Indikation.

Während Stürner ganz moderat seinem Gutachten die „Nicht- Rechtswidrigkeit“ von Abtreibungen zugrunde legt, zweifelt der Gutachter Bertram Schulin sie an. Gesetzlich ist den Krankenkassen aber nur eine Finanzierung bei „nicht rechtswidrigen“ Abtreibungen auferlegt. Fänden die Karlsruher Richter hingegen eine Formulierung adäquater, die den Schwangerschaftsabbruch in einer Frist zwar nicht bestraft, aber dennoch als rechtswidrig bezeichnet, so wäre die Krankenkassenfinanzierung gekippt.

Außer der Besetzung des Gerichts und der bestellten Gutachten macht auch die vorliegende Verhandlungsgliederung der beiden Karlsruher Tage wenig Hoffnung, daß die Fristenregelung bestand haben könnte. Sie umfaßt vier Seiten, ergänzt durch einen siebenseitigen Fragenkatalog. Sprach das Gericht 1975 noch neutral von „Leibesfrucht“, geht es jetzt nur noch um das „ungeborene Leben“. Und das kann das Gericht wohl kaum schutzlos lassen?