: So gut wie kein Asyl mehr
Die Koalition und die SPD-Opposition haben sich auf eine Änderung des Asylrechts geeinigt. Asylbewerber, die aus einem EG-Land oder einem sogenannten „sicheren Drittstaat“ einreisen, werden vom Verfahren ausgeschlossen. Für Kriegsflüchtlinge gelten Sonderregelungen ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Gestern wurde ein neues Verfassungsrecht geschrieben. Die Fraktionen der Regierungsparteien und der SPD hatten eine gemeinsame Position gefunden. Im Grundgesetz wird der berühmte Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ auch weiterhin stehen. Auch die Rechtswegegarantie des Artikel 19 bleibt unverändert. Doch zieht die vorgeschlagene Neuregelung, auf die sich die Fraktionen von CDU/ CSU, FDP und SPD am Wochenende geeinigt haben, einen Schlußstrich unter das Asylrecht, das 1949 unter dem Eindruck der damals allerjüngsten Geschichte entstanden ist.
Absatz 2 des neuen Artikel 16a bestimmt nämlich, wer Asylrecht nicht genießt — und danach kann in Zukunft jeder, der an deutschen Grenzen Asyl beantragt, in das Nachbarland, aus dem er kommt, zurückgewiesen werden. Daß dieses für die EG-Mitgliedsstaaten gilt, war zwischen Union und SPD nicht mehr strittig und ist von den Größenordnungen unerheblich. Diese Staaten haben die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, garantieren also formal ein Asylverfahren. So wie die EG-Staaten, die als Vertragsstaaten von Schengen und Dublin die Zuständigkeit für die Asylanträge unter sich geregelt haben, sollen in Zukunft aber auch die übrigen deutschen Nachbarn, Österreich, die Schweiz, Polen und die ČSFR, behandelt werden. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang Polen. Vor allem weil über die deutsch-polnische Grenze die meisten Flüchtlinge kommen. Außerdem garantiert Polen bisher keine Asylverfahren. Aber auf diesen Standard der Genfer Konvention konnte und wollte die SPD nicht verzichten. Unverzüglich, so der Kompromiß der Fraktionen, sollen nun bilaterale Regelungen mit Polen und der ČSFR getroffen werden. Ein „Angebot Deutschlands“, finanzielle Hilfe und „Regelungen zur Lastenverteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen in besonderen Situationen“ sollen es Polen schmackhaft machen, die Migrationsströme aus Osteuropa von der Bundesrepublik fernzuhalten.
Vorausgesetzt, solche Vereinbarungen kämen zustande, der cordon sanitaire um Deutschland wäre perfekt. Zugang in das deutsche Asylverfahren gäbe es nur mehr über den Luft- oder Wasserweg und — was ein häufiger Fall ist und bleiben wird — über die illegale Einreise.
Hier verbucht die SPD für sich einen zweiten Verhandlungserfolg. Während das Eckwertepapier aus dem Innenministerium ein beinah perfektes System des Ausschlusses von Asylbewerbern vorsah, die nicht an der Grenze, sondern im Land Asyl beantragen, berufen sich die SPD-Unterhändler, übrigens auch die FDP-Justizministerin darauf, daß nur beim Nachweis der Einreise aus einem bestimmten Land auch in dieses zurückgeschoben werden kann. Und den Nachweis müsse die bundesdeutsche Verwaltung führen. Solche Anträge, heute die übergroße Mehrheit, würden also nicht als „unbeachtliche“ (wie der Innenminister wollte), sondern mindestens als „offensichtlich unbegründete“ behandelt, denen ein Minimum an Rechtsweg garantiert bleibt. Der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch bezweifelt das, er trägt den Kompromiß nicht mit.
Ein Mindeststandard des Rechtsschutzes soll nun doch gelten. Die Beschwerdeausschüsse der CSU und der seltsame Gedanke des Innenministers, der Flüchtling könne sein Verfahren doch vom Ausland aus betreiben, haben sich immerhin nicht durchgesetzt. Auch bei den „offensichtlich unbegründeten Fällen“ (also da, wo die Union den „massenhaften Mißbrauch“ sieht) wird das Bleiberecht nicht schon dann abgeschnitten, wenn der ablehnende Verwaltungsbescheid vorliegt. Der Anspruch auf eine gerichtliche Instanz vor der Abschiebung bleibt. Im Regelfall soll dies zukünftig ein Einzelrichter sein, der nach dem Willen der Beteiligten so schnell wie möglich, in wenigen Tagen entscheidet. „Offensichtlich unbegründet“ sind die Anträge von Flüchtlingen aus Ländern, in denen „politische Verfolgung oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung nicht stattfindet“. Diese Variation der „Länderliste“, um die sich die SPD drei Monate gestritten hat, soll künftig durch ein zustimmungspflichtiges Gesetz festgelegt werden, braucht also Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Mithin: die Zustimmung der SPD.
Die Frage, welche Wirksamkeit die beabsichtigten Neuregelungen haben werden, ist umstritten. Die Absicht, das Signal der neuen Regelungen dagegen eindeutig: die Bundesrepublik Deutschland antwortet auf das Migrationsproblem der neunziger Jahre mit doppelter und dreifacher Abschottung, in der Hoffnung auf europäische Absprachen und Quotenregelungen, die völlig ungewiß sind. Das burden sharing, die europäische Lastenverteilung, auf die vor allem die Sozialdemokraten hoffen, steht in weiter Ferne. Bis dahin geht die Bundesrepublik mit schlechtem Beispiel voran und zwingt den ärmeren Nachbarn auf, was sie selbst nicht löst. Möglicherweise wird nur ein neues Problem produziert: das des massenhaften illegalen Aufenthalts.
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