„In der Logik des Parteitagsbeschlusses“

■ Interview mit SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen

taz: Herr von Oertzen, wie bewerten Sie die Ergebnisse der Verhandlungen?

Peter von Oertzen: Ich habe den Text noch nicht gründlich durcharbeiten können. Meine Einschätzung steht deshalb unter Vorbehalt. Ich bedauere, daß die vom SPD-Parteitag beschlossene Erweiterung des Flüchtlingsbegriffes durch die Übernahme der Genfer Flüchtlingskonvention und aufgrund der Verfolgung wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung nicht in die Beschlüsse eingegangen ist. Im übrigen scheinen mir die Bedingungen des SPD-Parteitages erfüllt zu sein. Das individuelle Grundrecht auf Asyl ist erhalten geblieben, und im Prinzip auch die Rechtswegegarantie – wenn auch bis zum äußersten eingeschränkt. Wenn sich jetzt an der Regelung objektive Mängel herausstellen, dann sind das solche Mängel, die auch schon der Parteitagsbeschluß enthält.

Was kritisieren Sie an den Beschlüssen?

Ich bin mir nicht im klaren, ob wirklich sichergestellt ist, daß jemand, der aus einem EG-Land beziehungsweise einem sicheren Drittstaat einreist und dorthin sofort wieder abgeschoben werden kann, von dort aus nicht doch ins Verfolgerland abgeschoben wird, trotz Menschenrechtskonvention und Europäischer Flüchtlingskonvention. Und zweitens bin ich mir nicht sicher, ob wirklich in allen der in Aussicht genommenen Länder ein dem deutschen gleichwertiges rechtsstaatliches Prüfungsverfahren seines Asylbegehrens stattfindet. Und wie wollen die Behörden in Deutschland feststellen, auf welchem Weg jemand ins Land gekommen ist? Ferner wird für das gerichtliche Verfahren bei geplanter Abschiebung davon gesprochen, daß durch Gesetz der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts eingeschränkt werden soll. Ich bin mir nicht im klaren, ob dadurch nicht bei formeller Aufrechterhaltung der Rechtswegegarantie inhaltlich eine unerträgliche Einschränkung erfolgt.

Tatsächlich bedeutet diese Vereinbarung, daß die Bundesrepublik Deutschland praktisch so gut wie keine Asylbewerber mehr aufnehmen und bescheiden muß. Denn wenn sie nicht auf einem deutschen Flughafen ankommen, müssen sie entweder durch EG- Staaten oder sogenannte sichere Drittstaaten einreisen. Das wäre unter zwei Bedingungen erträglich. Erstens, wenn in den EG- Staaten und Drittländern ein rechtsstaatliches Asylverfahren garantiert ist. Und zweitens, wenn die Asylgewährung und Unterbringung der verfolgten Menschen dort tatsächlich auch materiell garantiert ist. Wir schieben jetzt die Last auf unsere Nachbarstaaten ab. Das dient nicht den Flüchtlingen und auch nicht gutnachbarschaftlichen Verhältnissen in Europa.

Ist es im Sinne des SPD-Parteitagsbeschlusses, daß Asylbewerber praktisch nicht mehr in die BRD gelangen können?

Ob das im Sinne des Parteitagsbeschlusses lag, ist schwer zu sagen. Daß es aber in der Logik des Parteitagsbeschlusses liegt, das muß ich jetzt sehen. Möglicherweise haben wir uns über die Konsequenzen unseres Beschlusses getäuscht. Interview: Dorothee Winden