Asyl für Boat people und Jet-set

■ Die großen Parteien einigten sich in der Revision des Asylrechts: Das Recht auf Asyl bleibt erhalten – auf dem Papier/ SPD verzichtet auf Einwanderungsgesetz/ CSU und Lafontaine zufrieden

Berlin (taz) – Das Asylrecht bleibt erhalten, die Asylsuchenden verschwinden: das ist die Quintessenz des Kompromisses im Asylrecht, auf daß sich die Bonner Koalitionsparteien und die SPD in der Nacht zum Montag geeinigt haben. Für Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen soll es einen Sonderstatus geben. Die Einreise von deutschstämmigen Aussiedlern wird zukünftig begrenzt.

Als „Sieg der Vernunft“ feierte CSU- Chef Waigel den Kompromiß. Auch andere Politiker von CSU bis SPD zeigten sich über die Einigung hoch erfreut. Kanzleramtsminister Bohl rechnet damit, daß Zuwanderung jetzt wirkungsvoll begrenzt werden kann. Oskar Lafontaine (SPD) sprach von einem „entscheidenden Schritt nach vorn“. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen übten hingegen scharfe Kritik an dem Entwurf für ein neues Asylrecht.

„Ein „versöhnendes Signal“ solle gesetzt werden, „denn Deutschland ist ein weltoffenes, tolerantes Land, und das soll so bleiben“, heißt es auf Seite eins der gemeinsamen Erklärung. Die proklamierte Weltoffenheit findet indes für Asylsuchende schon auf der dritten Seite enge Grenzen. Zwar bleibt das Individualrecht auf Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes im Prinzip erhalten. In einem neuen Artikel 16a wird jedoch festgelegt, daß kein Anspruch auf Asyl hat, wer aus einem Drittstaat einreist, „in dem die Anwendung der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechts-Konvention sichergestellt ist“. Darunter versteht die Bonner Asyl-Runde nicht nur die Länder der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch Polen, die ČSFR, Österreich und die Schweiz – also sämtliche Nachbarstaaten Deutschlands. Flüchtlingen, die über den Landweg einreisen, wird damit das Recht auf Asyl in Deutschland prinzipiell abgesprochen, sie können sofort zurückgeschickt werden. Dies betrifft nicht nur Menschen etwa aus Polen oder der ČSFR, sondern auch alle anderen Flüchtlinge, die im Transit über diese Länder eingereist sind. Damit wird der Landweg verschlossen und den Nachbarstaaten der Bundesrepublik das „Asylproblem“ überlassen. Dafür bieten die Bonner Asylexperten diesen gnädig „administrative Hilfe zur Bewältigung der Flüchtlingsprobleme“ an.

Asyl beantragen darf in Zukunft nur, wer direkt – also über die Häfen oder Flughäfen in der Bundesrepublik – einreist. Da zur Einreise in aller Regel ein Visum benötigt wird, das immer schwieriger zu erhalten ist, dürften in der Tat kaum noch asylantragsberechtigte Personen den Boden der Bundesrepublik betreten.

Flüchtlinge, die, etwa um ihre Einreise über Land zu verschleiern, ihre Reisepapiere vernichten, haben ebenfalls keine Chance auf Asyl. Als „offensichtlich unbegründete Asylanträge“ werden nämlich unter anderem alle diejenigen eingestuft, bei denen die „Mitwirkungspflichten im Verfahren“ verletzt werden. Die neue Regelung soll auch für alle bereits anhängigen „Altfälle“ gelten, die man „beschleunigt abgearbeitet“ sehen will. Ein Bleiberecht sollen bei diesem Personenkreis nur Flüchtlinge aus Ländern mit besonders hoher Anerkennungsquote im Asylverfahren erhalten, die schon länger als zwei Jahre in der Bundesrepublik leben.

Ferner sieht der Asylkompromiß sogenannte Länderlisten vor. Wer aus diesen Ländern kommt, gilt nicht als politisch verfolgt, „es sei denn, er trägt Gründe vor, aus denen sich ergibt, daß er entgegen der Vermutung politisch verfolgt wird“, heißt es in dem Papier. Da sich die Parteien offenbar nicht auf eine konkrete Liste haben einigen können, sollen nun Bundestag und Bundesrat ein Gesetz verabschieden, in dem all die Länder aufgelistet werden, in denen nach ihrer Meinung politische Verfolgung nicht existiert.

„Offensichtlich unbegründete“ Asylanträge sollen zur Verfahrensbeschleunigung nur noch von Einzelrichtern entschieden werden. Alle Asylsuchenden erhalten künftig nicht mehr analog zur deutschen Bevölkerung Sozialhilfe. Statt dessen soll der „Mindestunterhalt“ durch ein eigenes Gesetz geregelt werden – mit dem Ziel einer „deutlichen Absenkung der bisherigen Leistungen“.

Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten einen Sonderstatus. Ihre Aufnahme erfolgt zeitlich befristet. Kein Wort findet sich im Asylkompromiß von dem von der SPD verlangten Einwanderungsgesetz. Statt dessen wird lediglich nebulös eine „Zuwanderungsregelung“ auf europäischer Ebene in ferne Aussicht gestellt. Die Einbürgerung von in Deutschland lebenden Ausländern soll alllerdings erleichtert werden.

Der Zuzug deutschstämmiger Aussiedler soll in Zukunft auf den Durchschnitt der Einreisenden von 1991 und 1992 begrenzt werden. Das wären etwa 220.000 Personen. Nur noch 100.000 Wanderarbeiter im Jahr erhalten eine Arbeitserlaubnis.

In Bonn wurde der Asylkompromiß fast einhellig begrüßt. CSU-Chef Theo Waigel feierte das „gute Ergebnis“. Die Führungsspitze der CSU stimmte dem ausgehandelten Papier bei einer Enthaltung zu. Kanzleramtsminister Bohl sagte, es sei ein tragfähiger Kompromiß erzielt worden, „bei dem naturgemäß unsere Wünsche und Forderungen nicht alle durchgesetzt wurden“. Er sei mit den Erfahrungen aus dem Dritten Reich vereinbar und trage zugleich den geänderten Bedingungen Rechnung.

Oskar Lafontaine sprach von einem „wirklichen Schritt nach vorne“. Entscheidend sei die Vereinbarung, daß Asylbewerber, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, zurückgewiesen werden könnten. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte Gespräche mit den Nachbarstaaten Deutschlands an, über die bisher viele Asylsuchende in die Bundesrepublik gekommen sind.

Scharfe Kritik am Kompromiß äußerten die Grünen. Deutschland umgebe sich „lückenlos“ mit Drittländern wie „mit einem undurchdringlichen Palisadenzaun“, die den Bedrohten aller Kontinente den Weg ins deutsche Asyl versperren. Diese Methode der Abschottung sei so effektiv wie ein Schießbefehl, auch wenn sie eleganter wirke. Politisch Verfolgte genießen nach der Änderung kein Asylrecht mehr, erklärten Grünen-Vorstandssprecher Christine Weiske und Ludger Volmer. Auch der Sprecher von Pro Asyl, Herbert Leuninger, sagte gegenüber der taz, daß „um Deutschland herum eine neue Mauer gebaut werden soll. Die Maßnahmen werden in letzter Konsequenz dazu führen, daß ein Flüchtling nur noch mit dem Fallschirm über Deutschland abspringen kann, wenn er hier Asyl beantragen will.“ Auch amnesty international kritisierte den Asylkompromiß. SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen meinte, möglicherweise habe die SPD sich über die Konsequenzen ihres Parteitagsbeschlusses zum Asyl getäuscht: „Tatsächlich bedeutet diese Vereinbarung, daß die Bundesrepublik praktisch so gut wie keine Asylbewerber mehr aufnehmen muß“, meinte er zur taz. klh

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