"Sie kommen ohne alles"

■ In Treptow wurde die bundesweit einzige Erstaufnahmeeinrichtung und Clearingstelle für alleinstehende minderjährige AsylbewerberInnen eingerichtet

Treptow. Vasile F. ist gerade 17 Jahre alt. Weil er Wahlplakate für Iliescu abgerissen hatte, wurde er von der rumänischen Polizei drei Tage lang ohne Nahrung und Wasser festgehalten, geschlagen und getreten. Nachdem ihn sein Vater aus dem Gefängnis geholt hatte, erreichte ihn nach wenigen Tagen der nächste Haftbefehl. „Da sah ich mich gezwungen, das Land zu verlassen“, sagt der schmale blonde Junge. Mit der Bahn kam er über Warschau nach Görlitz, wo ihn die deutschen Grenzschützer dreimal abschoben. Beim vierten Versuch durchwatete er die Oder und schlug sich bis Berlin durch. „Zum Glück hat die deutsche Frau, deren Kind mich unter dem Bahnsitz entdeckte, dem Schaffner nichts verraten.“

Vasile ist seit zehn Tagen in der Erstaufnahmeeinrichtung und Clearingstelle für alleinstehende minderjährige AsylbewerberInnen. Mit dieser bundesweit einzigen Einrichtung sorgt das Land Berlin dafür, daß schutzbedürftige Minderjährige in betreuten Jugendwohnheimen untergebracht werden und nicht in zentralen Aufnahmeeinrichtungen. Seit Juli mit einer eingeschränkten Betriebserlaubnis existierend, wurde sie gestern von Jugend-Staatssekretär Klaus Löhe offiziell eröffnet.

Die Jugendlichen, die in dem ehemaligen Wohnheim für Kinder der DDR-Botschaftsangehörigen ankommen, besitzen meist nichts als ihre abgerissenen Kleider. Manche haben 200 oder mehr Kilometer Fußweg hinter sich, andere haben sich wochenlang durch Grenzwälder geschlagen. „Die kommen ohne alles und total abgewrackt. Einige schlafen erst mal drei Tage am Stück“, sagt Jürgen Schmidt, Sozialarbeiter und stellvertretender Leiter. Viele der Jugendlichen seien so mißtrauisch, daß sie erst nach Wochen bereit seien, etwas über sich zu erzählen.

Staatssekretär Löhe bezeichnete die Eröffnung als „Akt der Humanität“. Derzeit sind in Berlin 1.700 jugendliche Asylsuchende registriert. „Sie kommen aus allen Ecken der Erde, wo Krieg, Bürgerkrieg oder Repression herrscht. Oft ist es für die Eltern die einzige Aussicht, das Leben ihrer Kinder und damit das Fortbestehen der Familie zu retten, sie in ein Flugzeug nach Deutschland zu setzen“, sagte Löhe. Sie genössen aufgrund des Haager Minderjährigenschutzabkommen Anspruch auf besonderen Schutz und müßten auch nicht wie die Erwachsenen ihre Verfolgung nachweisen. Dies würde auch durch die jüngste Verschärfung des Asylrechts nicht eingeschränkt.

Jugendliche AsylbewerberInnen werden in dem Wohnheim hier nicht nur untergebracht, sondern vor allem sozialpädagogisch betreut. „Es geht in erster Linie darum, den erzieherischen und psychosozialen Bedarf festzustellen“, sagte Löhe. Die derzeit zwölf SozialarbeiterInnen versuchen, Eltern oder Verwandte der Kinder ausfindig zu machen und zu ihnen Kontakt aufzunehmen. Auch die Anschlußunterbringung nach den höchstens drei Monaten in der Erstaufnahmestelle bei Verwandten oder in anderen Heimen wird vorbereitet. „Wir achten dabei darauf, daß die Kinder auch im Anschluß ein Mindestmaß an psychosozialer Betreuung erhalten und möglichst eine Schule besuchen oder eine Ausbildung beginnen. Sie sollen etwas mitnehmen, wenn sie zurückkehren“, so Löhe.

Auch die Nachbarn haben das Heim akzeptiert. „Bevor die Einrichtung eröffnet wurde, sind wir auf Multiplikatoren in der Nachbarschaft zugegangen“, sagt Schmidt. Mit Erfolg: Die örtliche Musikschule lieh Instrumente aus und unterrichtet einige der Jugendlichen. Die evangelische Gemeinde gestaltet regelmäßig einen Bastelnachmittag. Ärzte versorgen die Jugendlichen schon mal ohne bürokratischen Aufwand, auch die Polizei hat für Nachfragen sogar nachts eine eigene Telefonnummer eingerichtet. „Auch zur Kaufhalle haben wir guten Kontakt – den brauchen wir auch. Ab und an gibt es schon so was ... die Rumänen sagen ,zackzarapp‘ dazu...“ cor