Ungewisse Beziehungen (mit Mitzi)

■ „Frühling, ach ja“ von Judith Herzberg im Bonner Schauspiel

Die eine sagt mit vornehm geschürzten Lippen „Georges“ zum Diener, die andere schnippisch „Schorsch“. Die eine hält etwas auf ihren Stand, die andere beweist Stehvermögen. Eveline hat alles, Mitzi will alles haben. Deshalb sagt sie immer dann, wenn ihr nichts mehr einfällt: „Komm, wir geh'n was Hübsches kaufen.“ Zunächst fällt ihr selten etwas ein – außer Männern. Die sind so stereotyp männlich dämlich, daß ein Schauspieler genügt, um sie alle darzustellen. Ob Verehrer oder Vogelkundler, Diener oder Detektiv; Männer sind nur dazu da, dumme Fragen zu stellen. Sie platzen herein, stören die traute Zweisamkeit der beiden Frauen und versuchen sich in Szene zu setzen. Es gelingt ihnen nicht. Die Frauen wollen für sich sein. Noch ist es nicht Liebe, doch schon mehr als Zuneigung.

Judith Herzbergs Stücke sind Fallen. Mit wenigen komödiantischen Strichen entwirft sie eine leichtgewichtige, dünne Oberfläche, unter der das Tragische und Traurige im Dunkeln lauert. Das war schon in dem Stück „Tohuwabohu“ so, das das Schauspiel Bonn in der letzten Spielzeit erstaufgeführt hatte. In Bonn hat man die in Deutschland bisher kaum wahrgenommenen Theatertexte von Judith Herzberg entdeckt, weil sie von der Ungewißheit aller Beziehungen erzählen – das Leben, ein langer, unruhiger Fluß.

Judith Herzberg wurde 1934 in Amsterdam als Kind deutscher Emigranten geboren und überlebte die Judenverfolgung unter der deutschen Besatzung im Untergrund. Etwas bekannter als durch ihre selten gespielten Stücke wurde sie mit dem Drehbuch für den Film „Charlotte“ über die 1943 in Auschwitz ermordete jüdische Malerin Charlotte Salomon, für den Regisseur Franz Weiss 1980 den Bayerischen Filmpreis erhielt. Ihre Nähe zu Botho Strauß und Peter Handke findet sich in den Texten wieder. Frauen – als Liebende oder Geliebte – sind eben nicht allein ihr Thema. Sie wirft auch einen ironischen Blick auf den Ernst des Lebens, der gerade bei den Deutschen häufig im Tiefsinn endet.

Mitzi haßt diese Eindeutigkeit. Sie spielt mit den Männern und mit Eveline, ihrer neuen Freundin. „Du willst immer wissen, was wahr ist“, wirft sie ihr vor. Die ungeheure Leichtigkeit der etwas naiven Mitzi trägt die erste Hälfte des Stücks. Die Inszenierung von Ina- Kathrin Korff unterstreicht noch die Phantasie und den Witz, mit denen Judith Herzberg die unsicheren Verhältnisse skizziert. Ein Kommissar, der in der etwas undurchsichtigen Vergangenheit der beiden Frauen herumstochert, tritt auf wie Jack Nicholson in „Chinatwon“, mit einem dicken Pflaster auf der zerschnittenen Nase. Sobald er sich bewegt, spielt die Dreimann-Kapelle auf der Bühne einen kleinen Tusch – Ansichten eines Clowns, der Detektiv sein will. Nie weiß man so ganz, wo man sich befindet: in der Boulevard-Komödie oder in einer Tragödie, denn wo gerade noch der Hauch des Schicksals zu spüren ist, liegt schon im nächsten Moment ein Mikrophon in der Hand, zur scheußlich- schönen Untermalung der zur Schau gestellten Gefühle.

Leider hält das Stück die Brechung zwischen Witz und Wahrheit nicht durch. Das Tragikomische stürzt sich ins Verhängnis. Eveline drängt auf die Erwiderung der Gefühle, die sie gegenüber Mitzi hat. Dafür geht sie sogar statt ihrer ins Gefängnis. Doch Mitzi liebt zuerst sich selbst und dann nicht Eveline, sondern die Männer. Sie fühlt sich bedrängt, weist Besitzansprüche zurück. Eveline gibt sich auf, wartet siech im Bett auf die verweigerte Hingabe. Aus den Verstrickungen dieser wahnsinnigen Liebe bis hin zur Selbstaufgabe weiß Judith Herzberg sich nur zu befreien, indem sie den Taumel mit einem zufälligen, aber tödlichen Messerstich beendet. Da ist das Stück dort angelangt, wo Judith Herzberg gar nicht hinwollte: bei der Eindeutigkeit. Christof Boy

Judith Herzberg: „Frühling, ach ja“. Mit Christina Fuchs, Patricia Harrison, Romy Herzberg, Lu Hübsch, Isis Krüger, Michael Prelle. Inszenierung: Ina-Kathrin Korff. Bühnenbild: Hans Georg Schäfer. Termine: 10., 11., 13., 16., 17., 18., 22., 27., 29. und 30.Dezember.