piwik no script img

Politik des Auges

Mannheim: Die vier Fassungen der „Erschießung des Kaisers Maximilian“ vereint  ■ Von Christoph Danelzik

Zehn Tage war die Sensationsmeldung des Sommers 1867 unterwegs – von Querétaro in Mexiko über Boston, über das neue Atlantikkabel nach Irland und von dort nach Paris. In Mexiko hatten patriotische Republikaner ihren gestürzten Kaiser Maximilian hingerichtet. Napoleon III., Kaiser der Franzosen, erfuhr am 29. Juni die Hiobsbotschaft, während er auf der Weltausstellung Medaillen verteilte. Für ihn bedeutete der Tod des Habsburgers eine außenpolitische Katastrophe. Denn Maximilian galt allgemein als hilfloses Opfer geopolitischer Ränke, zerrieben zwischen den Machtinteressen Frankreichs und der USA. Die von der Zensur bedrängte oppositionelle Presse hatte deshalb ein gefundenes Fressen und hielt die Öffentlichkeit mit den allmählich eintreffenden Einzelheiten auf dem laufenden. Im August erst gelangten die ersten Bilder von der Affäre nach Europa.

Édouard Manet hatte in seinem Pariser Atelier zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Vorarbeiten zu einem monumentalen Gemälde begonnen, das „Die Erschießung Kaiser Maximilians“ darstellen sollte. Der Künstler hatte Grund zur Eile, weil er das Werk noch im Herbst dem durch die Weltausstellung nach Paris gelockten Publikum vorstellen wollte. Den Mangel an genauen Informationen glich er durch Spekulationen aus, die er den Tageszeitungen entnahm. Die erste, „Bostoner“ Fassung des Gemäldes blieb unvollendet, weil Manet den Nachrichtenfluß nicht bewältigte. Mit größerer Ruhe begann er die zweite Version, heute in der Londoner National Gallery. Von Anfang an war die Komposition festgelegt. Sie zeigt Maximilian, umgeben von seinen Generälen Mejia und Miramón. Dicht vor ihnen hat sich das Erschießungskommando aufgebaut, und etwas abseits lädt ein Korporal sein Gewehr. Das Peloton, das sich nach der Hinrichtung fotografieren ließ, bestand aus sechs Soldaten, einem Korporal und einem Offizier. Manet benutzte diese Fotografie, um das Bild zu korrigieren. Zunächst hatte er den Soldaten cowboyartige Phantasiekostüme angepaßt. Nun malte er sie in ihren Uniformen, die den französischen ähnelten. Manets Dichterfreund Émile Zola hatte diese Uniformen im Sinn, als er den Bildtitel änderte in „Frankreich erschießt Maximilian“.

Die Londoner Fassung – später beschädigt und von Nachbesitzern in Einzelteile zerschnitten – unterscheidet sich auch malerisch von ihrer Vorgängerin. Statt flüchtig und heftig, teilweise bedingt durch Manets Eile, ist sie ruhig und klar. Der ebenfalls aus der Bostoner Fassung übernommene Korporal, der, am rechten Bildrand stehend, seine Flinte lädt, ist kein trotziger Freiheitskämpfer mehr, sondern ein cooler Diensthabender.

Manet hatte diese sachliche Malweise schon früher geübt („Toter Torero“, 1863/64), näherte sich aber in diesem Fall den populären Drucken, die von der Zensur zur nüchternen Schilderung des Ereignisses gezwungen wurden.

Vier Fassungen der „Erschießung“ werden in einem Saal der Kunsthalle gezeigt. Trotz konservatorischer Bedenken und mit einer ungeheuren Versicherungssumme abgesichert, wurden die empfindlichen Tafeln zusammengeführt. Nur im vergangenen Sommer waren sie auch in London zu sehen gewesen. Neben Gemälden und Grafiken Manets und weiterer Künstler, die seinen Begriff von politischer Kunst veranschaulichen und seine Ikonographie ausfächern, erschließt eine Fotodokumentation das Ereignis.

Damit läßt sich verfolgen, wie der Maler sich vom Tagesgeschehen beeinflussen ließ und allmählich das endgültige Bild herausarbeitete. In diesem gelang ihm die Synthese von aktueller Bildberichterstattung und moralischem Sinnbild. Dabei widersetzte sich Manet mit seiner modernen Malweise dem herrschenden Kunstgeschmack, der von Historienbildern ein Pathos erwartete, das häufig zur Geschwätzigkeit mißriet. Auf dem Pariser Salon konnte er daher die „Erschießung“ ebensowenig ausstellen wie seine übrigen politischen Bilder.

Mit dem „Londoner“ Gemälde unzufrieden, schuf Manet nach einer kleinen Ölskizze die endgültige Gemäldefassung. Die Hauptgruppen blieben unverändert. Durch den Abschluß der Szenerie mit einer Mauer, über deren Rand hinweg ein Publikum gafft, verschiebt sich die Bildaussage: Der historische Moment wird als Dramolett inszeniert. Seit 1910 im Besitz der Mannheimer Kunsthalle, ist diese Fassung der Mittelpunkt der Ausstellung. Beim Erwerb war nicht mehr der politische Hintergrund des Bildes der Streitpunkt, sondern sein Rang als Repräsentant der französischen Moderne.

Édouard Manet war sowohl ein Wegbereiter der modernen Malerei als auch ein engagierter Demokrat. Auf den Barrikaden der Märzrevolution 1848 sammelte er erste politische Erfahrungen. Deshalb begnügt sich die Ausstellung nicht mit der Dokumentation der mexikanischen Affäre, sondern zeigt, daß seine künstlerische und seine politische Entwicklung zusammengehören. Manets Politik mit dem Auge bleibt über die Zeiten aktuell.

Seinem Vorbild Goya vergleichbar, gelang es ihm, verbindliche Zeitkritik so zu gestalten, daß hinter ihr die existentielle Basis durchscheint. Deshalb bleibt sein „Maximilian“ ambivalent: Täter war er als oktroyierter Kaiser, Opfer als politischer Strohmann und als Mensch, den die Ereignisse überfordert hatten. Und die Soldaten sind weder die Bösen noch die Helden. Das Beispiel dieser Gemälde enthüllt des Künstlers Konzept einer „offenen“ Geschichte: Ein entschiedenes Urteil darf sich nicht von differenzierter Erkenntnis abkoppeln.

Édouard Manet – „Augenblicke der Geschichte“. Kunsthalle Mannheim, bis 17.1.1993. Katalog: 48DM, im Buchhandel 98DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen