piwik no script img

Indiens Premier schwieg weiter

Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Moschee von Ayodhya sind die Führer der hinduistischen BJP festgenommen worden/ Regierungserklärung verhindert  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Paramilitärische Einheiten haben am frühen Dienstag morgen das Tempelgelände von Ayodhya besetzt. Noch am Tag zuvor hatte der Chef der Hinduorganisation „Vishwa Hindu Parishad“ (VHP) seine Anhänger aufgerufen, nach Ayodhya zu kommen. Dort sollten sie einen dichten Menschenschirm gegen den erwarteten Angriff der Sicherheitskräfte bilden. Tausende der „Freiwilligen für den Tempelbau“ hatten die „befreite Stätte“ noch gar nicht besucht und sollten in der Kalkulation der Organisatoren wohl einen effektiveren Schutz bieten als die nach 36 Stunden ermüdeten Abbruchbrigaden, die die Babri-Moschee am Wochenende zerstört hatten.

Doch die Polizeioperation verlief ohne großen Widerstand – wenn sie auch zu einem kritischen Zeitpunkt erfolgte. Hätte ein weiterer Tag mit den Bildern triumphierender Hindus auf den Ruinen der Moschee begonnen, wäre dies für Moslems im ganzen Land ein weiteres Zeichen der Schwäche gewesen, und ein Signal, den Schutz ihrer Gemeinschaft in die eigenen Hände zu nehmen.

Am Ort der Zerstörung wurde niemand verhaftet. Festgenommen wurden dagegen ein paar Stunden später acht führende Mitglieder der hinduistischen „Bharatiya Janata Party“ (BJP), die in Neu Delhi als Opposition fungiert, im Bundesstaat Uttar Pradesh hingegen in der Regierung sitzt. Neben den Präsidenten von Partei und Parlamentsfraktion, M.M. Joshi und L.K. Advani, wurden auch jene Abgeordneten arretiert, die am Sonntag in Ayodhya zur Erstürmung der Moschee aufgerufen hatten.

Unbestätigten Berichten zufolge soll unter den Verhafteten auch Vinay Katiyar, der Präsident der besonders militanten Gruppierung „Bairang Dal“ sein. Er ist zugleich Abgeordneter der BJP von Ayodhaya und soll eine hervorragende Rolle bei der geheimen Vorbereitung der Moschee-Stürmung gespielt haben. Daß es sich dabei um eine spontane Aktion gehandelt haben könnte, wird immer unwahrscheinlicher. So tauchten plötzlich die Werkzeuge zur Zerstörung der alten Gebetsstäte auf, und anschließend standen sofort Baumaterialien zur Errichtung der neuen zur Verfügung. All das weist auf sorgfältige Planung hin, deren erfolgreiche Geheimhaltung erstaunlich ist.

Mit Zornesausbrüchen reagierten die BJP-Abgeordneten im Parlament von Delhi auf die Verhaftungen. Der Parlamentssprecher mußte gestern auch die zweite Sitzung nach dem dramatischen Wochenende vertagen – und so gelang es Premierminister Narashima Rao wieder nicht, in einer Regierungserklärung erste Schritte zu einer innen- und außenpolitischen Schadensbegrenzung zu unternehmen. Dazu gehörte vor allem die Absicht der Regierung, militante und chauvinistische hinduistische Gruppierungen zu verbieten. Doch auch militante moslemische Gruppierungen sollen betroffen sein.

Das bisherige Schweigen von Premier Rao droht Indien auch international zu isolieren. Die Reaktionen auf die Zerstörung der knapp fünfhundertjährigen Moschee waren in der gesamten islamischen Welt heftig. Besonders die Golfstaaten, aber auch die islamischen Staaten Südostasiens sind für das Land als Lieferanten von Erdöl und als Arbeits- und Absatzmärkte von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Delhi hat aber auch ein politisches Interesse an guten Beziehungen mit den islamischen Staaten – und sei es nur, um Pakistan an einer islamischen Blockbildung gegen Indien zu hindern.

Auch die Signale, die von Ayodhya auf westliche Investoren ausgehen, sind wichtig. Die neue Krise trifft Indien im kritischen Moment einer wirtschaftlichen Strukturreform, die ohne ausländische Unterstützung nur wenig Erfolgschancen hat.

Auch am Dienstag kam es in vielen Städten zu zahlreichen Zusammenstößen zwischen Hindus, Moslems und der Polizei. Doch sie griffen nicht weiter auf bisher ruhige Gegenden über. Dagegen kam es in Pakistan und Bangladesch zu massiven Übergriffen gegen die kleinen hinduistischen Minderheiten. Auch Gebäude hinduistischer Institutionen und Tempel wurden angegriffen, besonders in der pakistanischen Sindh-Provinz und im bengalischen Chittagong. Die weitere Entwicklung wird aber nicht nur vom Verhalten der Ordnungskräfte abhängen, sondern noch mehr von der Situation in Ayodhya selbst. Die Regierung hat versprochen, die Moschee am Ort der Zerstörung wieder aufzubauen. Aber dort liegt inzwischen der Kern eines Hindu-Tempels, und eine Entfernung der inzwischen aufgestellten Statuen des Gottes Rama würde zu einer erneuten gewalttätigen Reaktion fanatisierter Hindus führen. Daß die Statuen auf dem Geröll der Moscheemauern bereits ihre sakrale Wirkung haben, zeigt das Verhalten der Polizisten, die heute die Tempelstätte besetzten: kaum hatten sie die „Freiwilligen“ vertrieben, knieten sie nieder und begannen vor der noch nassen Zementplattform zu beten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen