Vereinzelt SPD-Kritik am Asylkompromiß

■ Jusos sehen "fast schon parteischädigendes Verhalten" der sozialdemokratischen Unterhändler / SPD-Linke fordert bilaterale Verträge mit Nachbarländern / Seiters will Soldaten für Grenzkontrolle...

In der SPD reibt sich so mancher verwundert die Augen. Am zweiten Tag nach dem Asylkompromiß mit der Regierungskoalition, der am Montag erwartungsgemäß den Segen des SPD-Präsidiums fand, dringen die ersten kritischen Stimmen durch. Die Jusos bescheinigen den sozialdemokratischen Unterhändlern „schon fast parteischädigendes Verhalten“. Bedenken und Einwände meldeten auch der linken Frankfurter Kreis und die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des SPD-Bezirks Hessen-Süd, Heidi Wieczorek-Zeul, an.

„Gravierende Mängel, die uns zwingen, den Kompromiß abzulehnen“, stellen Detlev von Larcher, Horst Peter und Sigrid Skarpelis-Sperk fest. Die Bundestagsabgeordneten wollen „zwei zentrale Bedenken“ ausgeräumt sehen: Erst nach Abschluß bilateraler Verträge dürften Polen und andere Nicht-EG-Nachbarstaaten zu sicheren Drittländern erklärt werden. Eine Harmonisierung des europäischen Asylrechts müsse zudem „eine gerechte Verteilung der Lasten auf europäischer Ebene und die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention“ garantieren. Die drei Abgeordneten lehnen außerdem die Einschränkungen des Rechtswegs bei Bewerbern aus den „verfolgungsfreien“ Herkunftsländern ab, die künftig per Gesetz festgelegt werden. Von Larcher berief sich mit seiner Kritik auf den Beschluß des Sonderparteitags der SPD: „Wir wollen doch kein asylfreies Land sein. Wir wollen die Zuwanderung steuern und begrenzen, nicht beenden.“

Verbindliche Verträge mit Polen und den anderen Nachbarstaaten, die jetzt zu sicheren Drittstaaten erklärt werden, verlangt auch Wieczorek-Zeul. Der Bezirk Hessen-Süd hatte als erster gegen die Petersberger Asyl-Wende opponiert. Während Wieczorek-Zeul einige der vereinbarten Regelungen begrüßte, so den besonderen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge, bemängelte sie die Asylrechtregelungen. Zum Konzept der sicheren Drittstaaten, zu denen auch Polen und die ČSFR gehören sollen, sagte sie: „Wir bürden diesen Ländern einseitig alle Lasten der Fluchtbewegungen aus Osteuropa auf.“ Der Parteitag habe dagegen ausdrücklich vertragliche Vereinbarungen mit diesen Ländern gefordert. „Außerdem darf die einfache Durchreise durch ein europäisches Nachbarland, z.B. durch Frankreich, nicht von vornherein zum Ausschluß aus dem individuellen Asylverfahren führen.“

Der Ex-Vorsitzende der SPD, Hans-Jochen Vogel, hat sich bisher nicht zum Parteienkompromiß geäußert. Die Beschlüsse der entscheidenden SPD-Gremien sollen in unmittelbar nächster Zeit gefaßt werden. Am nächsten Montag tagen Parteivorstand und Parteirat, der laut Parteitagsbeschluß zum Kompromiß gefragt werden muß. Die Fraktion, die gestern die Verhandlungsergebnisse zur Kenntnis nahm, wird unmittelbar danach entscheiden.

Während die SPD noch auf das Verstummen ihrer letzten innerparteilichen Kritiker wartet, riefen die bayerischen Grünen die SPD- Gliederungen zu zivilem Ungehorsam auf. Der Schriftsteller Günter Grass sprach von einer „verantwortungslosen Kumpanei zwischen deutschen Politikern und Rechten Gruppen“. Unterdessen geht Bundesinnenminister Rudolf Seiters schon an die Umsetzung des Kompromisses. In einem gestern in Bonn veröffentlichten Brief schlug Seiters die Einrichtung eines gemeinsamen Bund- Länder-Arbeitsstabes vor. Für die praktischen Auswirkungen des Asylkompromisses werde es „neben der Gesetzesvorbereitung entscheidend auf die rasche Umsetzung der Beschlüsse im Vollzug“ ankommen.

Der Bundesinnenminister forderte außerdem verstärkte Grenzkontrollen, um auch die „illegale Einwanderung“ auf Null zu bringen. Ganz vom Geist des Asylkompromisses durchdrungen, präsentierte er seinen Vorschlag zur Effektivierung der Grenzkontrollen „durch hierfür freizustellende Soldaten der Bundeswehr“.

Skeptisch über die Auswirkungen des Asylkompromisses äußerte sich der deutsche Vertreter des UNO-Flüchtlingskommissars, Walter Koisser. Vor allem die Umsetzung der Drittstaatenregelung müsse sehr genau beobachtet werden. Koisser verwies darauf, daß es nicht ausreichen könne, daß die Drittstaaten die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hätten. Zwar sei das Abkommen zum Beispiel in Polen und der Tschechoslowakei gültig. Beide Länder hätten aber noch nicht Asylverfahren, die den Anforderungen der Konvention entsprächen. So müsse ein Flüchtling auf jeden Fall die Garantie haben, daß er nicht in sein Herkunftsland zurückgeschickt werde, wenn über seinen Asylantrag noch nicht endgültig entschieden sei. „Es gibt da eine Kettenreaktion. Das ist genau die Gefahr, die wir sehen“, warnte Koisser. So sei Polen noch nicht darauf eingestellt, das in der Genfer Konvention vorgesehene Verbot der Rückschiebung zu garantieren. Tissy Bruns