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Gebär-Kunst-Seil-Akt

■ Die Physiotherapeutin Liselotte Kuntner kämpft für die autonome Gebärende

„Zum Gebären braucht man eigentlich nur ein Seil“, sagt Liselotte Kuntner, Physiotherapeutin, Ethnomedizinerin und Expertin in Sachen Kunst des Gebärens und als solche diese Woche in Bremen zu Gast. An einem Seil, sagt sie, könne die Frau sich festklammern und die Wehenschmerzen „motorisch“ abreagieren. Was macht ein Kind, das sich den Fuß angestoßen hat, fragt die Schweizerin. — „Es hüpft herum.“ Genauso müßten die Geburtsschmerzen aktiv bewältigt, nicht passiv im Bett liegend erduldet werden. Geburt und

hier Schwangere,

hängend

Schwangerschaft sind keine Krankheiten, die Frau also keine Patientin. Liselotte Kuntner ist eine heftige Streiterin für die autonome Gebärende. „Aber einem Arzt, der eine Frau entbinden will, kommt so eine Gebärende natürlich in die Quere. Die Geburt ist eine Art Initiation, die den Frauen durch Ärzte und konservative Hebammen genommen wird.“

Seit 14 Jahren kämpft Liselotte Kuntner in der Schweiz und anderswo für die physiologisch richtige Geburt: Im Stehen oder im Hocken. So, daß der Kreislauf der Gebärenden in Schwung kommt und die Schwerkraft nachhelfen kann. Doch wenn von neuen Methoden in den Kreißsälen die Rede ist, werden meist zwei Männernamen genannt: Die Ärzte Leboyer und Odin gelten als Väter der „sanften Geburt“. Sanfte Geburt? Unmöglich, sagt Liselotte Kuntner: „Die Geburt ist ein Par-Force- Akt. Es gibt höchstens eine sanfte Umgebung.“ Die Leute, die die Kreißsäle unserer Krankenhäuser einrichten, verstehen nichts von Sport, stellt die Skifahrerin fest. „Eine körperliche Leistung wie die Geburt ist nur unter entsprechenden Voraussetzungen zu erbringen.“

28 gute Gründe für die Bewegungsfreiheit der gebärenden Frau hat Liselotte Kuntner zusammengetragen und führt sie gegen die „moderne“ Geburtshilfe in den industrialisierten Staaten zu Felde. „Das schlimmste ist, daß in den Dritte-Welt-Ländern jetzt die Entwicklung beginnt, die bei uns in den letzten 200 Jahren stattgefunden hat“, berichtet die Schweizerin, die in Kamerun, Sri Lanka und China Feldforschung betrieben hat: Die traditionellen Dorfhebammen, die ihr Wissen häufig von Mutter zu Tochter weitergaben, werden verdrängt, zu Gunsten von Frauenärzten, Kreißsälen und Apparatemedizin.

Schwangere, hockend

Gemeinsam mit zwei Hebammen hat die Physiotherapeutin den Geburtshocker Maia entwickelt. Mittlerweile steht er in 600 Krankenhäusern in Deutschland und in der Schweiz, auch im Diakonissenkrankenhaus in Bremen. Und weil das bananenförmige Höckerchen in den sterilen Kreißsälen so verloren wirkte, umgab es die Erfinderin mit einer „Insel“: einer fleckenabstoßenden, eiförmigen Matte in blaugrün.

„Ich bin sehr bekämft worden.“ Darüber wurde Liselotte Kuntner zur Missionarin der Kunst des Gebärens und hat gelernt, skeptische Wissenschaftler mit den eigenen Waffen zu bekämpfen: „Die Sprache ist wichtig.“ Darum spricht sie nicht von der „natürlichen Geburt“, sondern von der „physiologischen“. Und den Frauen, die ihre Ärzte von der Kunst des Gebärens überzeugen wollen, rät sie: „Sagen Sie nie, Sie brauchen einen Haken, verlangen Sie ein Befestigungselement. Und nehmen Sie meine Aufsätze mit. Dann haben Sie was Schwarz auf Weiß, zum Vorzeigen.“ Diemut Roether

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