Sanssouci: Vorschlag
■ „Der Reporter“ im Sputnik Südstern
Ein Wahlabend. Diepgens CDU hat sich überraschend zurück an die Macht gesiegt, Momper und die SPD sehen Neese aus. Das war am 2. Dezember 1990. Tags darauf fliegen die Vorsitzenden nach Bonn zwecks Beratung. Die in Berlin akkreditierten Journalisten sollen berichten, haben aber angesichts der abwesenden Prominenz und der unklaren Koalitionslage keinen Stoff. Also wird auf Nebenschauplätzen interviewt, das Nicht-Ereignis zur Nachricht aufgebauscht. „Das wird eine reine Luftnummer“, sagt der ZDF-Reporter Toppel und macht trotzdem den von der Mainzer Zentrale gewünschten Beitrag.
Ludger Blanke begleitete Oswald Toppel und eine ZDF-Kollegin, die in Brandenburg ein Stimmungsbild nach einem halben Jahr Währungsunion einfangen soll, zwei Tage bei ihrem gewöhnlichen Alltag. „Der Reporter“ enthält sich jeglichen Kommentars, keine Interviews mit den Berichterstattern, keine Zwischentitel. Die Kamera verläßt nie den Blickwinkel des unbeteiligten Beobachters. Die Sekunden, in denen die Gefilmten versehentlich in die Kamera blicken, sind die einzigen Zeichen von Kommunikation mit den Filmenden. Blanke möchte seine Arbeit „ethnographisch“ verstanden wissen, gleich den Filmen Jean Rouchs aus den fünfziger und sechziger Jahren.
Der Vergleich hinkt. Rouch intervenierte bei seinen Versuchen, die Wahrheit zu fixieren, zwar nicht, er veranlaßte seine Protagonisten aber immer zu Selbstauskünften. Bei Blankes cinema verrité geschieht dies nur mittelbar. Die Telefongespräche zwischen Toppel und seinem Sender zeigen, wie wenig er hinter dem Bericht steht, den er abliefern soll. Einen Blick in tiefere Schichten eröffnet die abgefilmte Oberfläche aber nicht.
Durch seine selbstverordnete Lakonie nähert sich der Chronist seinem Protagonisten an. Toppel macht vier Minuten aus der Ereignislosigkeit, ohne zu behaupten, er hätte etwas Wichtiges mitzuteilen. Blanke nimmt sich 62 Minuten für bekannte Bilder. Da jagt die Meute dem Interview-Wild hinterher, da schreitet Diepgen mehrfach die Treppe herab, um der Journaille wortreich gar nichts zu sagen. Eine Pressekonferenz und die Mühe, Stahlarbeitern O-Töne zu entlocken. Der mikroskopische Blick auf das Einerlei deckt kaum mehr als Altbekanntes auf. Die Rituale des Öffentlichkeitsmarktes sind auf der Ebene bloßer Aufsicht längst dechiffriert. Um die Zynik des Nachrichtengeschäfts sichtbar zu machen, ist Reporter Toppel ein zu seriöses Objekt. Das mag auch nicht der Anspruch gewesen sein. Wenn es allerdings nur darum ging, die triste Rückseite eines Traumjobs darzustellen – dafür hätte eine halbe Stunde sicher auch gereicht. Gerd Hartmann
Ludger Blanke: „Der Reporter“, Deutschland 1992, 62 min.,
Täglich um 19 Uhr im Sputnik Südstern, Hasenheide 54, Kreuzberg
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