"Der Mensch braucht Führung"

■ Eine umstrittene Vereinigung versucht im Bezirk Prenzlauer Berg, über Stadtteilarbeit Mitglieder zu werben / Sektenbeauftragter: Verdacht des Faschismus

Berlin. „Zentrum direkter Kommunikation“ steht in gelb- blau-weißer Schrift auf dem Schild an einem der typischen Ostberliner Mietshäuser am Prenzlauer Berg. „Sekte“ hat jemand mit roter Sprühfarbe darübergeschrieben. In der Parterrewohnung im Hinterhaus, die das „Zentrum“ vor einem halben Jahr angemietet hat, sitzen etwa zehn junge Leute auf der braun-beige gestreiften Couchgarnitur und spielen Mau- Mau bei Kaffee und Bier.

Regelmäßig laden die Initiatoren des „Zentrums“ zu Diskussionen, Festen, ins Café und zur Mitarbeit an einer Zeitschrift ein. Trotz des vielfältigen Angebotes scheint eine größere Resonanz auf das Unternehmen bisher ausgeblieben zu sein. So erklärt jedenfalls Micha, der das „Zentrum“ mit aufgebaut hat. „Ziel ist, die Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, damit sie nicht alleine zu Hause vorm Fernseher hocken.“

Im Laufe des Gesprächs stellt sich dann heraus, daß Micha Mitglied in der „Bewegung“ ist, einer internationalen Gruppe, die 1969 in Argentinien durch einen Mann mit dem Pseudonym Silo gegründet wurde. Einer der Mitbegründer, so ergaben Recherchen des Projekttutoriums Sekten beim AStA der Fu, war während des Dritten Reiches aktiver Nationalsozialist, wahrscheinlich sogar in der SS. Er tauchte nach 1945 in Argentinien unter.

Auf die Frage nach den genauen Zielen der „Bewegung“ antwortet Micha ausweichend. „Wenn ich etwas verändern will, muß ich bei mir anfangen“, erklärt er. Und das funktioniere nur über „Bewußtseinsbildung“. Nichtsdestotrotz müsse auch die Welt als ganze geändert werden. „Wenn dann auch der Kommunismus in China zusammenbricht und alle hierher kommen, wird es eine Übervölkerung geben. Spätestens dann bricht alles zusammen, wenn wir nicht wieder eine Mauer bauen.“ Die Lösung könne nur jemand bringen, der dann das fertige Konzept bereits in der Tasche habe.

Auch aus der blau beschrifteten Broschüre, die Micha schließlich aus dem Nebenraum holt und die keinerlei Angaben über Herausgeber und Verantwortliche enthält, läßt sich wenig über eine weltanschauliche Orientierung der „Bewegung“ entnehmen. Den meisten Raum nimmt die Beschreibung der Organisation ein: Gruppendelegierte, Räte, Orientierer, „Semesterbeiträge“ der Mitglieder, alles ist genau festgelegt.

Am Prenzlauer Berg, wo die Bewegung ihre derzeit einzige öffentliche Einrichtung in Berlin unterhält, ist das Zentrum mittlerweile in den Verdacht geraten, von einer „faschistischen Sekte“ betrieben zu werden. Immer mehr Gewerbetreibende ziehen deshalb ihre Anzeigenaufträge für die Stadtteilzeitung Prenzelberger Geschichten zurück. Monika Schipmann, Sektenbeauftragte des Senats, kann den Gefährlichkeitsgrad der „Bewegung“ nicht einschätzen, rechnet sie aber dem Sektor „Psychogruppen, politreligiöse Bewegungen“ zu. Die Ideen der Gruppe seien „diffus“ und schwer einzuordnen.

Die internen Schriften der „Bewegung“ erwecken den Eindruck eines Sammelsuriums religiöser und mystischer Gedanken. Einiges weist auf faschistoide Tendenzen hin. „Ich spreche von den besonderen Vorbildern, die wir innere ,Führer‘ nennen, die manchmal auch mit äußeren Personen übereinstimmen“, heißt es in einer Schrift von Silo ohne Angaben über das Erscheinungsjahr. In der Beschreibung eines Ritus zum „Beistand“ wird der Zeremonienleiter angewiesen, dem Sterbenden zuzusprechen: „Der Mensch, egal welchen Alters, bleibt immer ein Kind, das eine Führung braucht.“

Schon einmal hat die „Bewegung“ versucht, in Berlin Fuß zu fassen. Mitte der achtziger Jahre versuchten Mitglieder der „Humanistischen Partei“, damals das Organ der „Bewegung“, mit populären ökologischen und sozialpolitischen Zielen Menschen auf der Straße zu gewinnen. AussteigerInnen berichteten damals, von ökologischem Bewußtsein sei in den Gruppen keine Rede gewesen. Statt dessen seien sie nach und nach unter Druck gesetzt worden, sich den strengen Regeln der „Bewegung“ unterzuordnen und Außenkontakte zu reduzieren. Ende der achtziger Jahre verschwand die „Humanistische Partei“ dann wieder. Kritiker befürchten, daß die Methoden der „Bewegung“ sich nicht geändert haben, auch wenn die Mitglieder jetzt über Stadtteilarbeit angeworben würden. Insider schätzen, daß die „Bewegung“ nicht mehr als 50 Mitglieder in Berlin hat. Aber auch in Düsseldorf, Köln und München werden über Stadtteilarbeit Mitglieder geworben.

Nach Ansicht des Sektenpfarrers der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Thomas Gandow, muß der „Verdacht des Faschismus so lange im Raum stehenbleiben, bis die Gruppe ihre Strukturen, Hintergründe und Ziele aufgedeckt hat“. Anne-Kathrin Koppetsch