Vorlauf
: Lob des Fehlers

■ "Lob des Fehlers"

Heute und nächsten Donnerstag um 17.15 Uhr auf N3

Der Journalist und Filmemacher Reinhard Kahl (44) spürt seit Jahren den Abrichtungsmechanismen unter deutschen Dächern nach. „Lob des Fehlers“ heißt seine neue Serie über die gesellschaftliche Wiederentdeckung des Irrtums als Entwicklungsprinzip. Bei seinen Recherchen stieß Kahl auf Indizien für einen Aufbruch in die „lernende“ Gesellschaft des nächsten Jahrtausends, „eine Koalition der Entwicklungsbedürfnisse des einzelnen“ mit denen von „Institutionen wie Unternehmen, die sich aus reinem Selbst- sprich: Profiterhaltungstrieb weiterentwickeln müssen“.

In „Lob des Fehlers“ zeigt er, wie gerade die Industrie – traditionell Hauptinteressent an der Disziplinierung von Menschen zu Schülern, Arbeitern und Angestellten – heute zum Vorreiter einer Kehrtwende wird. Chemie- Manager schaffen die Direktorentitel ab und erteilen allen Mitarbeitern Zeichnungsrecht, Unternehmensberater empfehlen Karriereknicks und Krisen als Entwicklungschance, Autobauer betreiben systematische Personalentwicklung und krempeln ihr Unternehmen von vertikal auf symmetrisch um, weg von der EinzelkämpferIn hin zum Team. Im Zeitalter der Automation, wo Präzisionsarbeiten von Maschinen erledigt werden, ist nicht ein möglichst perfekt funktionierender Mensch erwünscht, sondern ein einfallsreicher.

Staat, Gesellschaft und das Schulsystem aber haben den Umkehrtrend nicht bemerkt. Dort ist nach wie vor Belehrung angesagt, Fehlervermeidung um jeden Preis. Daß es anders geht, daß „Herausfindenwollen“ ungleich effektiver und spaßiger ist als „Belehrtwerden“, führen Baseler ABC-Schützen vor: Nach wenigen Wochen Schule schreiben Sechsjährige aus eigenem Antrieb kleine Geschichten. Und wenn die Siebenjährigen lieber lesen, als sich mit der vorgeschlagenen Aufgabe zu beschäftigen, ist das gut und nicht schlecht. Weil sie tun, was sie tun wollen, lernen sie von ganz alleine, ohne zu wissen, daß sie lernen. Auch wenn sie sehr lange am Computer herumfummeln müssen, bis sie die Spiele-Sperre geknackt haben. „Aha, jetzt beherrschen sie etwas von MS- Dos“, freut sich der Lehrer.

Schade, daß der Film wegen seiner Sendezeit an vielen Ex- ABC-Schützen vorbeigehen wird. Die stecken dann im Stau, in der U-Bahn oder in der Schlange im Supermarkt. Ulla Küspert