Jelzins Kandidat ist gescheitert

Russische Volksdeputierte lehnten Jegor Gaidar als Regierungschef ab/ Auch sein Friedensangebot an die konservativen Parlamentarier nützt ihm nichts mehr  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Die Abgeordneten des russischen Volksdeputiertenkongresses haben gestern den amtierenden Premier Jegor Gaidar als Regierungschef abgelehnt. Die Moskauer Nachrichtenagentur ITAR- TASS, die zuvor einen Erfolg Gaidars gemeldet hatte, berichtete am Nachmittag, die Deputierten hätten dem umstrittenen Wirtschaftsreformer mit 521 zu 464 Stimmen in geheimer Abstimmung die rote Karte gezeigt. Das offizielle Endergebnis der Wahlkommission bestätigte wenig später diesen Trend: danach stimmten für Gaidar 467 Abgeordnete, gegen ihn 486. Das geheime Abstimmungsverfahren, das die Delegierten zuvor beschlossen hatten, hatte die reformfeindlichen Kräfte begünstigt, da sich viele Delegierte so einer Rechtfertigung ihrer Entscheidung entziehen konnten.

Gaidar war der einzige Kandidat für diesen Posten, den Präsident Boris Jelzin den Gesetzgebern vorgeschlagen hatte. Schon am Montag war eine Entscheidung erwartet worden. Die mehrfache Verschiebung des Wahltermins offenbarte, wie schwierig es werden würde, unter den über tausend Abgeordneten eine einfache Mehrheit für Gaidar zu finden.

Gestern nun unterbreitete Gaidar mehrheitlich „konservativen“ Gesetzgebern ein Friedensangebot: „Ich halte es für meine allerwichtigste Aufgabe, das Verhältnis zum Parlament zu verbessern, bei der Ausarbeitung der Wirtschaftspolitik und in Personalfragen. Eine Regierung, die sich permanent in Opposition zum Parlament befindet, und ein Parlament, das sich ständig der Regierung entgegenstellt, ist ein zu großer Luxus für ein Rußland in der Krise“, sagte Gaidar. Vor der Abstimmung hatte Jelzin noch einen Kompromiß vorgeschlagen. Bei der Ernennung der Minister des Innen-, Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitsressorts erhält die Legislative künftig ein Vetorecht.

Gaidar kann auf eine erfolgreiche Amtszeit zurückblicken. Als amtierender Premier Jelzins hat er innerhalb eines Jahres die Reformen so weit vorangetrieben, daß sie heute auch ohne sein direktes Mitwirken nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Als er Ende letzten Jahres ins Kabinett kam, erwartete keiner, die Regierung würde mehr als einige Monate überleben. Das Gaidar-Team hatte kein ausgearbeitetes Konzept, das über den Mai hinausreichte. Seine Aufgabe bestand vielmehr darin, sich als Kamikazepilot auf das Kommandosystem der Wirtschaft zu stürzen, die über eine einflußreiche Lobby verfügt. Sie verlangen für ihre maroden Unternehmen Subventionen und möchten die geplante Privatisierung hinauszögern. In ihren Augen fördern die Reformen den Rückgang der heimischen Produktion.

Einer seriösen Analyse hält das nicht stand. Schon die Vorjahre zeigten Produktionseinbrüche. Längerfristig gesehen verstärken die maßlosen Forderungen aus dem militärisch-industriellen Komplex die Verarmung der Bevölkerung. Wenn ein Zuschußunternehmen pleite geht, ist es schließlich kein Verlust für die Volkswirtschaft. Im Gegenteil.

Mit Ausnahme ihrer finanziellen Sonderwünsche verbindet diesen Block nur wenig. Er ist bei weitem nicht homogen. Weder kann er ein konsistentes Programm vorweisen, noch hat er einen ernsthaften Gegenkandidaten ins Rennen geschickt. Vor Übernahme der Regierungsverantwortung schreckt er zurück. Letztlich liegt darin eine Gewähr, daß die Reformen unabhängig von Gaidar weiterlaufen. Aber Radikalität und Tempo werden darunter leiden. Ob Jelzin jetzt einen Ersatzkandidaten vorschlägt, etwa Vizepremier Wladimir Schumeiko, ob er die von der Verfassung vorgesehene Frist von drei Monaten ohne Premier — also inoffiziell doch noch mit Gaidar — weitermacht, oder ob wird er versuchen, den Kongreß doch noch umzustimmen, war zunächst noch nicht zu erfahren.