■ Mit Weißrußland auf du und du
: Abwarten und Hoffen

Berlin (taz) – Weißrußlands Faustpfand ist seine Industrie – doch das ist auch der Fluch der Republik. Seit Jahr und Tag mußte das rohstoffarme Land die Materialien für die Produktion aus den ehemaligen Sowjetrepubliken beziehen und dafür Traktoren, Motorräder, Werkzeugmaschinen, Kühlschränke, Fernsehgeräte oder Kunstfasern liefern. Doch seit diese Handelsbeziehungen weitgehend zusammengebrochen sind, hat sich die Talfahrt der noch immer stark mit der Ukraine und Rußland verflochtenen weißrussischen Wirtschaft dramatisch beschleunigt. Allein bis August, so haben drei westdeutsche Forschungsinstitute errechnet, ist das produzierte Nationaleinkommen um 15 Prozent und die Industrieproduktion um 14,2 Prozent gesunken.

In dem rund zehn Millionen Einwohner zählenden Staat seien jedoch die Grundvoraussetzungen für größere Hilfsprogramme derzeit nicht gegeben – so heißt es in einem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Kieler Institut für Weltwirtschaft und dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle gemeinsam verfaßten Bericht. Dennoch plädieren die Experten für gezielte Hilfspakete – etwa für die Opfer der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und die Umsiedlung der Bevölkerung aus den besonders stark radioaktiv verseuchten südlichen Gebieten. Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist die Erschließung neuer Westmärkte entscheidend. Also müsse die Hilfsbereitschaft der westeuropäischen Staaten sich daran messen lassen, ob sie ihre Märkte für weißrussische Produkte öffnen.

Obwohl die politische Lage im Gegensatz zu Rußland als stabil gilt, kämpft auch Weißrußland um eine wirtschaftspolitische Linie. Zwar wurden reihenweise Gesetze für den Übergang zur Marktwirtschaft erlassen, doch angewendet werden sie nur graduell. Offensichtlich, so die Wissenschaftler, wolle die Regierung nicht die Verantwortung für die verteilungspolitischen Konsequenzen übernehmen. Ein Ausweg aus der Sackgasse könne aber nur mit einer grundlegenden Wende in der Wirtschaftspolitik erfolgen. Das Land steuert durch die Einbindung in die Rubelzone und die eigene unkontrollierte Geldschöpfung auf eine Hyperinflation zu. Zur makroökonomischen Stabilisierung seien schon allein daher Kürzungen der Staatsausgaben unabdingbar. Erwin Single