Blaues Auge für die Versicherten

■ Was die Gesundheitsreform PatientInnen kostet und bringt

Berlin (taz) – 10,7 Milliarden will Gesundheitsminister Seehofer (CSU) mit der heute im Bundestag verabschiedeten Gesundheitsreform sparen. 2,5 Milliarden davon tragen die Versicherten, vor allem durch die höhere Zuzahlung zu Arzneimitteln.

Ab 1.1.93 gilt eine Abstufung nach Preisklassen: Bei Arzneimitteln bis dreißig Mark müssen drei Mark beigesteuert werden, in der Preisklasse 30 bis 50 Mark fünf Mark, darüber sieben Mark. Ab 1994 richtet sich der Preis nach der Packungsgröße. Für kleine Packungen müssen drei, für mittlere fünf und für große sieben Mark berappt werden. Ein Trostpflaster: Die Pharmaindustrie muß zum 1.1.93 für zwei Jahre die Preise senken, und zwar um 5 Prozent bei verschreibungspflichtigen und um 2 Prozent bei den verschreibungsfreien Arzneimitteln. Dies gilt für alle Arzneimittel, die keinen Festbetrag haben.

Alleinstehende, die weniger als 1.484 Mark verdienen, sind von jeglicher Zuzahlung für Arznei- und Heilmittel, Zahnersatz, Fahrkosten sowie der Zuzahlung bei stationären Rehabilitationskuren befreit. Für Ehepaare ohne Kind liegt die Einkommensgrenze bei 2.040 Mark, pro Kind erhöht sich der Betrag um 371 Mark. Für die neuen Bundesländer gelten niedrigere Grenzen: Für Singles liegen sie bei 1.092 Mark, für Ehepaare bei 1.501 Mark, und für jedes Kind erhöht sich die Einkommensgrenze um 273 Mark. Wer Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Ausbildungsförderung bezieht, ist ebenfalls von der Zuzahlung befreit. Für chronisch Kranke gilt wie für Einkommensschwache ein sogenannter Überforderungsschutz. Demnach dürfen je nach der Höhe des Einkommens nicht mehr als 2 bzw. 4 Prozent des Einkommens für Arzneimittel aufgewendet werden. (Versicherte, die am Ende eines Kalenderjahres mehr zugezahlt haben, als ihnen nach der Überforderungsklausel zugemutet werden kann, erhalten den Betrag zurück. Die Zuzahlungsbelege müssen der Krankenkasse zur Erstattung vorgelegt werden.)

Auch Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind von der Zuzahlung für Arzneimittel und Verbandsmittel sowie für Krankenhausaufenthalte und stationäre Kuren ganz befreit. Für Erwachsene bleibt die Zuzahlung für Krankenhausaufenthalte und stationäre Kuren auf 14 Tage begrenzt. Für Westdeutsche wird der Eigenbeitrag von bisher 10 Mark pro Tag auf 11 Mark erhöht. In den neuen Bundesländern wird die Eigenleistung ab Januar 1993 von zehn auf acht Mark gesenkt und ab Januar 1994 auf neun Mark erhöht. Für Müttervorsorge- und Müttergenesungskuren, bei denen die Kosten von den Krankenkassen voll übernommen werden, sind ebenfalls für 14 Tage je elf Mark zuzuzahlen.

Die Gesundheitsreform beschert den Versicherten auch einige Leistungsverbesserungen. Die Krankenkassen übernehmen künftig Fahrtkosten oberhalb von 20 Mark bei Fahrten zur ambulanten Behandlung beim Arzt oder im Krankenhaus sowie bei vor- und nachstationärer Behandlung, wenn dadurch Krankenhausaufenthalte vermieden oder verkürzt werden können. Bei mehrmals erforderlicher Behandlung bleibt die Eigenbeteiligung auf die erste und die letzte Fahrt beschränkt.

Wenn der Abschluß einer Auslandsreise-Krankenversicherung wegen Vorerkrankungen nicht möglich ist, erstatten die Krankenkassen in Zukunft für längstens sechs Wochen die Kosten von Akutbehandlungen bei privaten Auslandsreisen. Wer sich vor Urlaubsreisen eine Schutzimpfung verpassen läßt, muß diese demnächst allerdings selbst bezahlen. Neu ist auch, daß Krankenkassen Selbsthilfegruppen und -Kontaktstellen mit gesundheitsfördernder oder rehabilitativer Zielsetzung fördern können.

Beim Gang zum Zahnarzt übernimmt die Kasse nicht mehr die Kosten für übergroße Brücken und mehr als zwei komplizierte Verbindungselemente bei Prothesen. Dies läßt sich jedoch verschmerzen, da beides medizinisch nicht unbedingt notwendig ist. Kieferorthopädische Leistungen für Erwachsene wird die Kasse nur in Ausnahmefällen zahlen. Andererseits wird Gruppenprophylaxe verbessert, vorbeugende Behandlung auf Krankenschein gibt es jetzt schon für Kinder ab sechs Jahren.

Mehr Gerechtigkeit bedeutet auch die freie Wahl der Krankenkasse, die ab 1.1.97 für alle Versicherten möglich ist. Unterm Strich müssen die PatientInnen zwar einige Leistungsausgrenzungen hinnehmen, denen jedoch auf der anderen Seite Verbesserungen gegenüberstehen. Auch bei der Erhöhung der Eigenbeteiligung sind die Versicherten noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Wenn infolge der Sparmaßnahmen auf Beitragserhöhungen der gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich verzichtet werden kann, profitieren davon auch die Versicherten. Dorothee Winden