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„Probleme nicht abwälzen“

■ Hans Eichel (SPD), hessischer Ministerpräsident

taz: Sie haben sich auf dem Landesparteitag der SPD für eine Änderung des Artikel 16 eingesetzt. Enspricht der Asyl-Kompromiß Ihren Vorstellungen?

Hans Eichel: Ich habe dem Bundesparteitagsbeschluß zugestimmt. Und da gibt es für mich im Vergleich mit dem Kompromißpapier einen entscheidenden Unterschied. Wir können und dürfen unsere Probleme nicht auf ärmere Länder abwälzen. Zwar ist es richtig, daß sich aus dem ersten Gebietskontakt die Voraussetzungen für die Zuständigkeit der Einleitung eines Asylverfahrens ableitet. Dennoch müssen wir den ärmeren Ländern dabei helfen, entsprechende Infrastrukturen dafür aufzubauen. Und wir müssen im Rahmen der Aufgabenteilung bereit sein, Flüchtlingskontingente zu übernehmen. Für mich ist das der Einstieg in das Thema europäische Asyl- und Einwanderungspolitik mit Quoten. Wenn es also in Polen oder anderswo zu hohen anerkannten Flüchtlingsquoten kommt, dann müssen Teile dieser Flüchtlinge selbstverständlich auch von uns übernommen werden. Das muß zwingender Bestandteil dieses ganzen Bonner Beschlußpaketes werden.

Ist es für einen Sozialdemokraten politisch und moralisch vertretbar, daß Flüchtlinge, die auf dem Landweg zu uns kommen, de facto keine Chance mehr haben, um Asyl nachzusuchen?

Eine große Zahl von Flüchtlingen wird weiter zu uns kommen. Und die sind dann einfach da – und wir müssen uns mit ihnen beschäftigen. Die Genfer Flüchtlingskonvention legt fest, daß dort, wo zuerst der Fuß auf ein sicheres Territorium gesetzt wird, da wird auch das Verfahren durchgeführt. Es muß über einen europäischen Lastenausgleich geredet werden.

Müßten diese Beschlüsse – europäischer Lastenausgleich, bilaterale Abkommen mit Polen und der CSFR – nicht vor einer Änderung des Grundgesetzes im Bundestag unter Dach und Fach gebracht werden?

Darüber kann man reden. Nicht nur die Polen waren bislang überhaupt nicht daran interessiert, eine solche Regelung mit uns zu treffen. Die haben die Osttüren und die Westtüren aufgemacht. Ja, man kann das ganze Paket erst in Kraft treten lassen, wenn diese Voraussetzungen realisiert worden sind. Ich versichere hier, daß die ja auch vom Bundesrat mitzutragende Festlegung – sicheres Drittland – dann dort nicht mitgetragen werden wird, wenn es etwa mit Polen vorher zu keiner vertraglichen Vereinbarung kommen sollte. Wir verlangen vom Kanzler, daß diese Verhandlungen umgehend aufgenommen werden. Interview: K.-P. Klingelschmitt

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