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Beliebig, aber nicht banal

„Trys Dienos“ (Drei Tage) – der für den Felix nominierte Film des litauischen Regisseurs Sarunas Bartas  ■ Von Petra Kohse

Grashügel im Winter. Statt Bäumen ragen Hochspannungsmasten in den bewölkten Himmel. Zwei grau-schwarz gekleidete Männer kommen ins Bild, erklimmen die höchste Kuppe und verschwinden. Kaltes Sonnenlicht fällt auf das matschgrüne Gras. Dann wird es schattig. Und wieder hell. Irgendwann fährt eine Eisenbahn rechts durchs Bild. Schnitt: der Hafen von Kaliningrad. Aus ihrem litauischen Dorf sind die beiden Freunde in die Stadt gefahren. Warum? Warum nicht.

In seinem Film „Trys Dienos“ interessiert sich Sarunas Bartas weder für Gründe noch für Entwicklungen. Eher zufällig geraten immer wieder die gleichen Personen an die Orte, die sein Kameramann Vladas Naudzius fixiert: ein betonierter Platz am Hafen von Kaliningrad, ein Bahnsteig, ein verrottetes Stundenhotel.

Eine junge Frau (Katerina Golubeva) sitzt auf einer Mauer. Die beiden Reisenden stellen sich neben sie. Später gehen sie gemeinsam weg. Drei Tage Kaliningrad. Der blonde junge Mann (Audrius Stonys) wird zusammengeschlagen und liegt vor dem Klo eines billigen Amüsierlokals. Stirbt er? Sein dunkelhaariger Freund (Arunas Sakalauskas) bleibt mit der Frau zusammen. Gemeinsam treiben sie durch trostlose Tableaus des Rotlichtbezirks.

Zuweilen lacht sie hysterisch und weint dann wieder. Häufig kauert sie auf der Erde, zurrt sich den dunklen, schmutzigen Mantel fester um den Körper und streicht die ungepflegten Haare aus dem schönen Gesicht. Er sieht sie an und blickt wieder weg. Dann läuft sie ihm in sein feuchtes, dreckiges Zimmer voraus. Voneinander abgewendet ziehen sie ihre Jacken aus.

„Trys Dienos“, vor einem Jahr in Montreal uraufgeführt, war bereits auf der diesjährigen Berlinale im Forum zu sehen. Neben „Nord“ von Xavier Beauvois (F) und „De Noorderlingen“ von Alex van Warmerdam (NL) ist er jetzt für den Europäischen Filmpreis Felix im Bereich des Jungen Films nominiert. Die Jury-Entscheidung der European Film-Academy wird morgen fallen. Mit „Trys Dienos“ würde man für einen auf unspektakuläre Weise philosophischen Film votieren.

Bartas thematisiert den Raum und die Zeit. Was er zeigt, ist beliebig, aber nicht banal. Die Beliebigkeit ist keine Gefahr für den Film, sondern ein Stilmittel. Wenn der Dunkelhaarige aus dem Klofenster des Stundenhotels blickt, sieht er im gegenüberliegenden Haus zwei nackte Huren mit ihrem Zuhälter.

Einen Stock tiefer sitzt ein Mann vor einem Berg Melonen. Oder die Stadt in der Totalen: die baufälligen Gebäude der Rüstungsindustrie, grauer Himmel, Dampfwolken wie Atompilze. Keine soziale Anklage, sondern ein Fakt. Dann wieder ein leerer Bahnsteig unter einer hohen Bahnhofskuppel. Er steht abgewendet, sie hockt hinter ihm. Ein Zug fährt ein. Man sieht sie nicht mehr. In dieser hermetischen und perspektivlosen welt gibt es schon lange keine Fragen mehr.

Nur in wenigen Szenen deutet Bartas an, daß Einsamkeit momentweise auch teilbar ist. Zum Beispiel in der endlich zärtlichen Geste, mit der der Mann seine schmutzige, zartgliedrige Hand auf die Wange der Frau legt, die unter ihm vor Trauer, Sehnsucht und Lust heult, während nebenan die Unterhaltungsmusik plärrt. Aber auch diese Intimität löst sich wieder auf in Räume und Augenblicke.

Dieser Film braucht keine Sprache und verzichtet doch nicht ganz darauf. „Es wird gehen“, sagt die Frau, als sie ein Feuer machen. „Ich verstehe dich nicht“, sagt er. „Was wird gehen?“ Und sie sieht ihn nur an. In einem Spex-Interview mit Silke Panse sagte Bartas, er habe die selbstgeschriebenen Dialoge des Drehbuchs beim Drehen immer weiter reduziert. Gesagt wird nur noch, was auch ungesagt bleiben könnte. Ein minimalistischer Film ist es, eine bloße Feststellung. Es gibt Kaliningrad, und zwei Menschen fahren hin.

Die Schlußeinstellung zeigt das litauische Bauernhaus, von dem aus die jungen Männer aufgebrochen sind und in das mindestens einer von ihnen jetzt wieder zurückkehrt. Ein langes Bild. Schneebedeckt, bei Schneeschmelze und ohne Schnee. In „Trys Dienos“ hat das Verrinnen der Zeit etwas Tröstliches wie in „Koyaanisquatsis“ und etwas Endgültiges wie in den Filmen Tarkowskis. Es ist der erste Spielfilm von Sarunas Bartas. 28 Jahre ist er alt. „28 Jahre“, sagt auch der alte, hinkende Heizer mehrmals vor sich hin, als er mit dem Dunkelhaarigen in seinem Verschlag Wein trinkt. Und später: „Unser Leben hat einen Anfang und ein Ende.“ Das ist vermutlich der einzige Grund, weswegen auch „Trys Dienos“ irgendwann endet. Nach 80 Minuten ist alles wie vorher. Litauen 1991. Nichts hat sich geändert. Wie auch?

„Trys Dienos“, Regie: Sarunas Bartas, Kamera: Vladas Naudzius, Darsteller: Katerina Golubeva, Rima Latypova, Arunas Sakalauskas, Audrius Stonys u.a. Litauisch mit deutschen Untertiteln.

Bis 23.12. und vom 27.-30.12. im fsk, Wiener Straße 20, Kreuzberg.

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