Italienische Lehrstunde

■ Der AC Mailand zeigt im Europacup der Landesmeister dem PSV Eindhoven mit 2:1, was ein Klassenunterschied ist

Eindhoven (taz) – Vom wehenden Mantel der Fußballgeschichte waren sie kurz gestreift worden und staunten. Die Illusion, daß es in der schönen neuen Welt der Champions League nur zu Duellen der Giganten kommt, war zu Staub zerfallen. Keine Champions-League-Hymne und kein Champions-League-Kunstvideo auf der Großleinwand konnte darüber hinwegtäuschen, daß es in diesem Wettbewerb nur einen Champion gibt, den AC Mailand.

Der Troß von Milan war in Windeseile bereits in Richtung Jet verschwunden, da standen die Verantwortlichen des PSV Eindhoven noch beim Bier zusammen und zuckten mit den Achseln. Zu diskutieren gab es schließlich wenig. Und so lächelte PSV-Trainer Hans Westerhof ins Glas und zeigte sich einfühlsam gegenüber der nationalen Konkurrenz: „Jetzt weiß ich, wie die sich fühlen. Das war ein Klassenunterschied.“ In der gleichen Manier wie Eindhoven im eigenen Land die tapferen Fußballzwerge aus Dordrecht, Walwijk oder Volendam abzukanzeln pflegt, dominierte Milan beim holländischen Meister.

PSV-Manager Kees Ploegsma setzte zwar zu Entschuldigungen an, verwies auf die verletzten oder gesperrten van Aehrle, Koeman und van Tiggelen, endete aber auch mit ratlosem Achselzucken. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, das Ergebnis blieb eindeutig. Seine Mannschaft habe „alles gegeben“, resümierte Hans Westerhof, aber es war zu wenig. Spätestens an diesem Abend mußte man wohl anerkennen, daß das Gejammer über die Dominanz Milans in der italienischen Liga jetzt auch europaweit angestimmt werden darf.

In Holland war das Treffen vorher nicht nur zum „Spiel des Jahres“ stilisiert worden, sondern auch zum großen Duell der Spieler mit den beeindruckenden Torrekorden: Romario gegen van Basten. Der Brasilianer beim PSV hatte in 14 Europacup-Spielen ebensoviele Tore und in 91 holländischen Ligaspielen 85 Tore geschossen, während van Basten bei 43 Europacup-Spielen insgesamt 30 mal traf und in seiner Zeit bei Ajax Amsterdam in 133 Spielen 128 Treffer erzielt hatte.

Doch dieses Duell endete nur mit einem scheinbaren Sieg. Romario erzielte in der 65. Minute zwar den Anschlußtreffer für Eindhoven, war gefährlichster Angreifer seiner Mannschaft, aber der Mittelstürmer, dessen Bewegungsablauf in den besten Momenten sehr an Maradona erinnert, spielte vor allem für seinen Applaus. Marco van Basten hingegen vergab zwar einige Torchancen, bereitete aber das 0:1 von Rijkaard vor und war einer der überragenden Spieler auf dem Platz.

Mit diesem Attribut waren aber noch etliche andere Spieler von Milan zu versehen. Ob Rijkaard im zentralen Mittelfeld oder Simone als zweite Spitze, ob Maldini auf der linken Verteidigungsseite oder Costacurta in der Abwehrmitte, gegen sie wirkten die Spieler des PSV manchmal fast unbedarft. Die Milan-Abwehr ließ kaum einen Torschuß zu, nur einen Eckball im ganzen Spiel und verlor allein beim Anschlußtreffer für einen kurzen Moment die Übersicht, während sie auf der anderen Seite die Abwehr der Gastgeber immer wieder in größte Verlegenheiten stürzten.

Dabei kam zudem nie das Gefühl auf, daß die Mannschaft ihre Möglichkeiten überhaupt völlig ausreizen mußte. So konnte Milan sich eine Stunde lang sogar den traurigen Helden des Abends in seinen Reihen leisten. Milan-Trainer Fabio Capello hatte nämlich als Zugeständnis an die Fußballpsychologie neben Rijkaard und van Basten auch Ruud Gullit beim Spiel gegen seinen ehemaligen Verein aufgestellt. Doch Gullit wirkte trotz einiger guter Szenen wie ein Fremdkörper im sonst perfekt eingespielten Team. Seine Verletzung in der 60. Minute sorgte dann für einen halbwegs würdigen Abgang.

Aber darüber mochte Fabio Capello nicht reden. Er bescheinigte Gullit etwas gelangweilt, ein „großer Spieler“ zu sein, lobte seine Mannschaft für ihr gutes Spiel, lobte den Gegner und war bereits verschwunden. Business as usual, auch im europäischen Zusammenhang. Eindhoven wird im nächsten Spiel Vitesse Arnheim Angst und Schrecken einjagen. In Holland sind sie wieder eindeutig auf Meisterkurs. Dann dürften sie auch im nächsten Jahr am Europapokal der Meister teilnehmen und vielleicht in der Champions League wieder gegen Mailand spielen. „Für meine Mannschaft“, sagt Hans Westerhof, „ist so ein Spiel sehr wichtig. Hier lernen wir eine Menge.“ Für einen Moment hätte man vergessen können, daß hier der Trainer einer europäischen Spitzenmannschaft sprach. Christoph Biermann