Die mediale Mauer steht

■ Über die Integrationsfunktion von ARD und ZDF

Acht Jahre nach dem medienpolitischen „Urknall“, der das duale System, also das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, brachte, stehen ARD und ZDF mit dem Rücken zur Wand. Das „Erste“ erwartet für die nächsten drei Jahre ein Werbeminus von 1,1 Milliarden Mark, das ZDF für 1993 Verluste in Höhe von 160 Millionen Mark.

Die Zwickmühle ist offensichtlich: Auf der einen Seite die Konkurrenz durch die Privaten, die mit seichter Massenunterhaltung auf Zuschauerfang gehen und mit diesen Einschaltquoten ihre Werbezeiten verkaufen, auf der anderen Seite ein Programmauftrag, der die Öffentlich-Rechtlichen dazu anhält, umfassend zu informieren, einen Beitrag zur Bildung zu liefern und schließlich auch zu unterhalten. Einerseits Angebote für Filme und Lizenzen für Sportveranstaltungen, deren Preise von den Privaten ins schier Unermeßliche getrieben werden, andererseits ein begrenztes Gebührenaufkommen, das stets den aktuellen Erfordernissen hinterherhinkt.

Angesichts dieses Dilemmas erscheint der Fall der 20-Uhr-Werbegrenze fast als genialer Ausweg; dann flösse Geld in die Kassen, und die öffentlich-rechtliche Seele hätte ihren Frieden. Doch wäre dies wirklich die Lösung? Zugegeben, die fallenden Werbeeinnahmen sind ein eminentes Problem, doch diese Debatte führt in eine falsche Richtung. Zwar steht das gemeinnützige Fernsehen im Wettbewerb mit den Kommerziellen: Doch muß es jede Herausforderung annehmen und den marktwirtschaftlichen Gesetzen letztlich erliegen? Was not tut, ist, die Rolle und Funktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens neu zu bestimmen.

Eine Aufgabe von großer Tragweite liegt ja bereits auf dem Tisch. Mehr als zwei Jahre nach der „Wende“ ist die anfängliche Euphorie einem gegenseitigen Unverständnis gewichen. Es fehlen auch die nötigen Medien, diesen Graben zu überwinden. So ist beispielsweise der Zeitungsmarkt noch immer gespalten: Im alten Bundesgebiet herrscht eingeschränkte Vielfalt, in den neuen Ländern monopolisierte Einfalt, was den Meinungspluralismus angeht. Alexander Gauland, Geschäftsführer der Märkischen Allgemeinen, spricht gar von einer „Medienmauer“.

Vor diesem Hintergrund ist die Integrationsfunktion des Fernsehens wichtiger denn je. Denn nur die großen Sender ARD und ZDF mit ihrem spezifischen Programmauftrag können sich den aktuellen kulturellen und politischen Fragen unserer Zeit stellen. Es ist das gemeinnützige Fernsehen, das seinen Beitrag dazu leisten muß, die mentale Mauer zu überwinden. Das Problem dabei ist aber, daß viele Ostdeutsche, deren Stars und Programme schnell von den Schirmen verschwanden, ARD und ZDF noch immer als „Westfernsehen“ betrachten. Für die mangelnde Identifikation mit dem Programm ist keine bornierte Befindlichkeit verantwortlich zu machen, sondern eine Berichterstattung, die sich primär an Problemen und Fragestellungen des Westens orientiert. Udo Reiter, der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks, hat deshalb beim ARD-Vorsitzenden bereits inhaltliche, organisatorische und finanzielle Korrekturen angemahnt.

Das grundsätzliche Dilemma ist ohnehin, daß das Massenmedium Fernsehen seine „integrative“ Kraft verloren hat. Denn die Zeiten, als das Öffentlich-Rechtliche mit „Straßenfegern“ wie der „Halstuch“-Serie alle Generationen und Schichten vor die Glotze bannen konnte und anderntags über diese Ereignisse in den Betrieben, Kneipen und Wohnzimmern diskutiert und gestritten wurde, sind unwiderruflich vorbei. Die explodierende Menge der Kanäle – auch Folge des dualen Systems – führt dazu, daß das Publikum in immer kleinere Interessengruppen aufgespalten wird.

In dieser Situation wollen nun ARD und ZDF ein neues Programm starten: DIKA, den Deutschen Informationskanal (falls das ZDF nicht zu CNN überläuft). Die Stoßrichtung ist klar, es geht gegen n-tv aus Berlin, Vox aus Köln, Euronews aus Lyon und ein mögliches deutschsprachiges Programm von CNN. Mag die Intention von ARD und ZDF auch durchaus ehrenwert sein – sie wollen sich nicht auf ihrem ureigensten Terrain, dem der Information, schlagen lassen –, so geht sie doch am Problem vorbei. Denn anstatt jetzt einen Nachrichtenkanal aufzubauen und damit die Fragmentisierung noch zu verstärken, sollten ARD und ZDF ihre Programme mit Hilfe aktueller Informationen so ausbauen und verdichten, daß sie unterhaltsam und informativ werden. Vor allem aber müssen die jugendlichen Zuschauer angesprochen und bei den Privaten abgeworben werden, denn das größte Problem der Öffentlich-Rechtlichen besteht ja darin, daß ihre Programme bevorzugt von Rentnern und älteren Menschen gesehen werden.

Dabei gab es ja ein Medium, daß die Kids in Ost und auch in West erreichte, das aber von den Politikern ins Abseits manövriert wurde: Jugendradio DT64. Obwohl eine ganze Jugendbewegung für den Erhalt des einstigen Ostsenders auf die Straße ging – ein einzigartiges (medien-)politisches Phänomen – wurde DT64 stufenweise abgewickelt.

Und wie steht es mit dem neuen nationalen Hörfunk? Mit seinen zwei länderübergreifenden Programmen, die „die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland fördern“ sollen, ist er zweifellos eine Herausforderung. Doch wie „integrativ“ kann ein Sender sein, dem die Länder die Frequenzen verweigern?

Das öffentlich-rechtliche System sollte seine Krise als Chance begreifen: Neben einer Sparpolitik, die Synergie-Effekte nutzt, sollten ARD und ZDF ihren Standort den geänderten gesellschaftlichen und historischen Bedingungen anpassen. Dabei ist eines bereits jetzt klar: Den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung darf es nicht den Privaten überlassen. Karl-Heinz Stamm