Zwischen den Rillen
: Ego tripping mit Kleinmystikern

■ „Trying hard not to freak out“: Julian Cope und Louis Tillett

Quer durch alle Formen der Kulturrezeption gibt es eine Faszination durch den Wahnsinn – oder das, was man dafür hält. Unter Berufung auf den Allgemeinplatz, daß Genie und Wahnsinn nahe beieinanderliegen, wird dabei gerne gefolgert, alles, was als wahnsinnig identifiziert wird, müsse gleichzeitig auch große Kunst sein. Aber was ist schon Wahnsinn? Was nicht verstanden wird, wird meist ohnehin nicht zur Kenntnis genommen, es muß schon greifbar sein. Und dekorativ. Also befaßt man sich mit denen, die laut und penetrant genug eine „dunkle Seite“ des Lebens zelebrieren: Lyrik, Alkohol, Drogen, Blut, Expressivität, Bohème. Und so gelten Nick Cave, Tom Waits und die Einstürzenden Neubauten als große Kunst, Julian Cope und Louis Tillett hingegen (bisher) nicht.

Dabei hätte Julian Cope etwas zu bieten, was anderen zum Ruhm gereichte, die sich ein Ohr ab- oder die Stirn aufgeschnitten haben: Vor acht Jahren stieß er sich zum Abschluß einer Tour in Hammersmith (London) ein Messer in den Bauch. Nicht weil er wieder auf Trip war, sondern „in einer etwas merkwürdigen Laune“. Und zu Beginn der Achtziger, als der Begriff „New Wave“ noch nicht völlig auf den Hund gekommen war, war er mit seiner Band The Teardrop Explodes, die ebenso wie Echo & The Bunnymen und Wah! aus Liverpool kam, sogar eine Art Popstar und hatte einen Top-ten-Hit. Nach zwei Platten löste er die Band auf, präsentierte sich später auf dem Cover seiner manisch-grandiosen zweiten Solo-LP „Fried“ nackt mit Schildkrötenpanzer und einem Spielzeuglastwagen und wurde schließlich auf „St.Julian“ zu ebendiesem, einer Messiasgestalt in schwarzem (Rock'n'Roll-)Leder.

Wie das nun zusammengeht? Eigentlich geht bei Cope nichts wirklich zusammen, am allerwenigsten die Stücke seiner neuen Platte „Jehovakill“, und das ist noch nicht einmal das Beste. Hier findet sich bruchstückhaft alles, was er in der Vergangenheit noch in vergleichsweise konzentrierte Formen pressen konnte: das Unterdrückt-Ekstatische, das Vertrackt-Hymnenhafte, das bis zur Selbstaufgabe Fragile, das fast kitschig Schöne, Rockelemente, billige Elektronik sowie – natürlich und zuallererst – das Psychedelische, das ihn nicht nur in Gestalt von Helden wie Syd Barrett, Arthur Lee, Jim Morrison oder Tim Buckley geprägt hat. Julian Cope hat hier seine Egomanie zugunsten einer verschrobenen, ätherischen Bastelei hinter sich gelassen. „Jehovakill“ sieht zwar zunächst aus wie ein Konzeptalbum, die 16 Stücke (Songs wäre kein angemessener Ausdruck) sind unterteilt in drei „Phasen“, aber identifizieren lassen sich gerade mal keltische Kultstätten als vages Leitmotiv eines genialen experimentellen Kleinmystikers, der darauf verzichtet, die Welt weiter mit den Verbindlichkeiten des Pop zu traktieren. In „Akhenaten“ heißt es: „Feeling my body in the shape of the cross/ and trying hard not to freak out.“

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Louis Tillett kommt aus Australien, ist mit 33 Jahren ungefähr gleich alt wie Cope und hat gerade eine schwere Krankheit hinter sich, mit der sich seine selbstzerstörerische Obsession so schön illustrieren ließe. Im Gegensatz zu Cope ist seine Annäherung an das Abgründige weniger selbstverständlich als bewußt und klassisch thematisiert (was natürlich nicht zwangsläufig etwas über innere Notwendigkeiten aussagt). Mit Klavierunterricht aufgewachsen, kam Tillett über Jazz und Blues zur Rockmusik und nahm nach der Trennung seiner Band Wet Taxis die Solo- Alben „Ego Tripping at the Gates of Hell“ und „A Cast of Aspersions“ auf, in denen er die Artrock-Tradition der Endsechziger/Frühsiebziger aufnahm und mit Rhythm'n Blues und Soul verband. Mit fetten Bläsersätzen und einem Lead-Piano artikulierte sich ein orchestraler Singer/Songwriter-Rock, der kein bißchen arty, aber in sich dicht und geschlossen klang.

Das war 1987 und 1990. Auf der neuen Platte „Letters to a Dream“ klingt vieles eine Spur zu gepflegt und zu theatralisch. Themen, die sich in Songtiteln wie „Entering the World of Morpheus“, „Ship of Dreams“ oder „Dancing with the Devil, Parts I & II“ überdeutlich aufdrängen, Arrangements, die nur noch wenig mit Rock und Dichte zu tun haben, und Saxophone, die nach Haargel klingen. Die Songs sind immer noch gut, aber ihre Umsetzung orientiert sich, statt an Tilletts eigenständigem Entwurf der ersten beiden Platten, an mißinterpretierten oder falschen Vorbildern wie John Cale und Nick Cave. Fast scheint es damit so, als hätte sich die Bezeichnung „Rockpoet“, mit der die FAZ Tillett einmal ohne Anführungszeichen und Ironie bedachte, als fatale self-fulfilling prophecy erwiesen. Mit Anführungszeichen natürlich, so oder so. Michael Nauert

Julian Cope: „Jehovakill“. (Island/BMG Ariola).

Louis Tillett: „Letters To A Dream“. (Citadel/Normal).