: Körperhandwerker
■ Von Badern, Bartabschneidern und Friseuren im Mittelalter, Barock und 19.Jahrhundert
Nicht eben wenig hat sich Susanna Stolz, Verfasserin einer umfangreichen Studie über die „Handwerke des Körpers“, vorgenommen.
In drei Kapiteln, die dem Mittelalter, dem Barock und dem 19.Jahrhundert gewidmet sind, geht Stolz den offenkundigen wie verborgenen Zusammenhängen zwischen zeitspezifischem Körperverständnis und der Entwicklung jener Handwerke nach, die sich der Pflege des Körpers verschrieben haben: Bader, Barbier, Perückenmacher und Friseur. Den Anspruch einer lückenlosen Rekonstruktion stellt Stolz dabei nicht.
Im Aufspüren übergreifender Entwicklungslinien bis in scheinbar nebensächliche Details hinein liegt denn auch die Stärke der Untersuchung. Nicht nur wird dem Leser anhand von zahlreichen Quellentexten und Abbildungen die Entwicklung vom „Bader“ des Mittelalters bis hin zum Beruf des Friseurs anschaulich dargelegt. Die prägnanten Erläuterungen rechtlicher, sozialer, politischer, theologischer und medizinischer Gedankenkonstrukte untermauern die These von der gesellschaftlichen Funktionalisierung der Körperpflege mit allerhand „handfesten“ Argumenten.
So war das Badewesen im Mittelalter nicht allein eines der wichtigsten Freizeitvergnügen. Die Badehäuser dienten immerhin nicht allein und nicht in erster Linie der Sauberkeit, sondern – zum Ärger der Kirchenväter – auch der zwischengeschlechtlichen Sinnenfreude. Die medizinische „Körpersäftelehre“ sprach dem Baden derweil diverse heilende Wirkungen zu: Das Baden öffne die Poren und leite so schädliche, weil überflüssige Säfte ab. Ebenso dienten das zum Badevorgang gehörende Schröpfen und der Aderlaß der Harmonie der Körpersäfte, die man sich als dem „Makrokosmos“ entsprechend dachte. Bis zu zweimal wöchentlich wurde die Entnahme von Blut empfohlen, um das Gleichgewicht des Körpers zu gewährleisten.
Nicht zuletzt aufgrund der „großen Seuchen“, der Pest und der sich epidemisch ausbreitenden Syphilis kehrte sich die Annahme der für Seele und Leib heilenden Wirkung der Bäder in ihr Gegenteil um.
Das Reinigungsmittel Wasser und mit ihm das ob seiner allzu sinnenfrohen Begleiterscheinungen seit jeher anrüchige Baderhandwerk kamen zunehmend in Verruf. Die Hygiene des Barock sollte bekanntlich fast gänzlich ohne das kühle Naß auskommen, Puder und Duftstoffe schufen einen nach damaligem Verständnis (und Geruchssinn) adäquaten Ersatz.
Neben solchen gesellschaftsübergreifenden Rückschlüssen vom vorherrschenden Weltbild einer Zeit auf den Umgang mit dem Körper arbeitet Stolz insbesondere die Abgrenzung gegenüber den sozial Schwächeren als wichtigstes Motiv der Körperpflege heraus.
Besonders deutlich wird dies in den Ausführungen zum Zeitalter des Barock. Das höfische Statussymbol „Perücke“ sowie die oft Stunden währende Toilette am Hof dokumentierten signalhaft eine mit körperlicher Arbeit nicht zu vereinbarende Körperpflege.
Das Bürgertum des 19.Jahrhunderts widmete sich zwar mit aufklärerischem Impetus einer breit angelegten „Hygienisierungskampagne“. Doch diente die „Verbürgerlichung“ der unteren Schichten weniger der Durchsetzung gleicher Rechte, als dem Interesse der Volksgesundheit, sprich der Wehrtauglichkeit und der industriell verwertbaren Arbeitskraft. Auf „feine Unterschiede“ (zum Beispiel das bürgerliche Badezimmer versus Duschbäder der Volksbadeanstalten nach militärischem Vobild) verzichtete man selbstredend nicht.
Der jetzt im Jonas Verlag erschienenen Untersuchung liegt eine Dissertation im Fach Europäische Ethnologie und Kulturforschung zugrunde. Nicht immer leicht konsumierbar, liefert sie dennoch einen streckenweise äußerst vergnüglichen Beitrag zur Alltagskulturgeschichte des Körpers. Und: Sie relativiert unser heutiges, von staatlich verordneter Gesundheitspflicht und Diätensucht geprägtes Körperverständnis. Susanne Hagemann
Susanna Stolz: „Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur – Folge und Ausdruck eines historischen Körperverständnisses“. Jonas Verlag, Marburg 1992, 352 Seiten, 129 Abb., 56 DM.
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