Intimwaschung und Volkskörperfürsorge

Das Bad – Privatisierung der Körperpflege und öffentliche Körperkultur im 19. und 20.Jahrhundert Eine Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden  ■ Von Barbara Häusler

Wenn wir uns nach einem langen, anstrengenden Tag genüßlich unter die Dusche stellen oder in die Wanne gleiten lassen, erhoffen wir uns mehr als das Abspülen von Dreck und Schweiß. Den ganzen Tag wollen wir loswerden, die Welt aussperren, alleine sein mit uns, indem wir unseren Körper, berieselt oder eingetaucht, wundersam mit diesem flüssigen, warmen Element verbinden. Und wenn wir uns in einem Schwimmbecken lustvoll treiben lassen oder verbissen unsere Bahnen absolvieren, uns danach für ein Gläschen Mineralwasser (vielleicht eine bestimmte Marke?) entscheiden, wird deutlich, welche zentrale Rolle das Wasser in unseren Selbstvorstellungen spielt und welchen kulturellen Kodierungen seine Verwendung und Verschwendung unterworfen ist. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen ist Wasser ein Medium und Symbol innerlicher Reinheit und äußerlicher Reinlichkeit.

Am Beispiel des Bads zeigt die Dresdner Ausstellung, eine Übernahme des Historischen Museums Wien, die Entwicklung und Veränderung von Körperkultur und Hygienevorstellungen im 19. und 20. Jahrhundert. Eine federleichte Ausstellungsarchitektur aus Glas und Eisen hat die Räume des Deutschen Hygiene-Museums selbst in luftige Badehallen verwandelt. Das Thema „Bad“ wird, bei einer starken Ausrichtung auf Österreich und insbesondere Wien, weiter gefaßt, als man zunächst vermutet. Vom feudalen Wasserspiel, dem gefälligen Bad nur fürs Auge, bis zum Whirlpool, dem vorläufigen Höhepunkt moderner Badezimmertechnologie, wird das private wie das öffentliche Bad in seinem Funktionswandel ebenso dokumentiert wie die Geschichte des Kurbads, jener „gelungenen Synthese aus Therapie und Amusement“. Darüber hinaus wird verdeutlicht, wie eng diese Entwicklung verknüpft ist mit Maßnahmen der öffentlichen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, die in der Choleraprophylaxe ihren Ursprung hatten, und mit einem zu Beginn des vorigen Jahrhunderts enormen Bedeutungszuwachs des Wassers in der Medizin.

Ein beängstigender Boom von Kaltwasseranwendungen etablierte sich, die für ihre „Natürlichkeit“ gepriesen wurden und als eine Art „therapeutischer Nihilismus“ auf die Horrormedizin der Aderlässe, Brechmittel- und Quecksilbergaben reagierten. Ob allerdings das Arsenal an Instrumentarien wie Kühlkappen, Herzschläuchen, Mastdarm- und Vaginalkühlern oder dem „Psychrophor“, einem Katheter zur Tonisierung der Harnröhre, als angenehme Neuerungen empfunden wurden, darf bezweifelt werden. Die Dusche, von der man gerne erfahren hätte, woher sie wirklich stammt, könnte leicht eine Weiterentwicklung der trappermäßigen Holzstammkonstruktion sein, die Vinzenz Prießnitz, Erfinder der gleichnamigen Leibauflage, für „abschreckende Übergießungen“ in den schlesischen Wäldern empfahl. In einer Konstruktionszeichnung entwirft jedoch Ludwig W. Mauthner bereits 1837 ein Modell, das, an eine Synthese aus Eiserner Jungfrau und Faradayschem Käfig erinnernd, noch bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts in Wiener Volksbädern in Gebrauch war – die im übrigen neben den modischen Kaltwasseranwendungen erfreulicherweise auch Dampfbäder bereithielten.

Diese Volksbäder sind ein Kapitel für sich. Hier offenbarte sich die Gleichzeitigkeit von privatem und öffentlichem Körper am deutlichsten, trafen Intimpflege und gesellschaftlich interessierte Volkskörperfürsorge, Reinigung und sportliche Ertüchtigung aufeinander. Schon 1784 eröffnete das Wannen-, Brause- und Dampfbad „Zum weißen Wolfen“, dem im Laufe des 19.Jahrhunderts noch acht weitere folgten, die sich jedoch schnell in Hallenbäder verwandelten. Eines der eindrucksvollsten war vielleicht das Esterházybad. Auf fünf Etagen konnte man dampfbaden – zu Gebühren zwischen zehn Kronen im Keller und einem Gulden im vierten Stock, darüber eine Etage mit diversen Wasserkuren und im sechsten Stock dann endlich das riesige Hallenbad. Zwischen 1887 und 1893 bauten 21 der 23 Wiener Bezirke im „Interesse der Gesundheitspflege der Gemeinde Wien“ sogenannte Volksbrausebäder. Zusammen mit den teilweise schon früher angelegten Donau-Strombädern bildeten sie für die ärmeren Bevölkerungsschichten Wiens eine breite Versorgungsbasis für Körperpflege und das zunehmend bedeutsamer werdende Freizeitvergnügen am und im Wasser. Es entstanden Schwimmschulen und -vereine, man erfand das Sonnenbad und das neue, sportliche Körpergefühl mündete schließlich in den Frischluft- und Bewegungskulten der zwanziger Jahre. Die sich dabei wandelnden Bade- und Bekleidungsordnungen illustrieren den Konflikt zwischen sittlichen Ansprüchen und zunehmender Einsicht in eine zweckmäßige Schwimmkleidung, dessen vorläufige Entscheidung die ausgestellten Modelle bis zum heutigen Bikini vorführen. Die Absetzung der proletarischen Körperkultur vom rassisch gewendeten Körperkult der Nazis ist mit zwei mehr als dürftig gestalteten Vitrinen leider eines der wenigen schlecht ausgeführten Ausstellungskapitel.

Zwischen 1900 und 1931 wurden noch einmal neun Frei- und Hallenbäder gebaut, da auch noch zu Zeiten der architektonischen Reformanstrengungen im „Roten Wien“ das badezimmerlose Wohnungselend kompensiert werden mußte. Die kurze Geschichte der Wiener Bäder am Ende des Katalogs liest sich deprimierend. Nur ein Bruchteil ist noch erhalten, und viele der in ihrer Ausstattung einzigartigen Anlagen teilten das Schicksal des schon 1898 wegen des Baus der Stadtbahntrasse „demolierten“ Kaiserbades: Kriegszerstörung, industrielle Umrüstung, Abriß oder zeitgemäße Hochmodernisierung zum tropischen Erlebnisbad.

Wer es sich leisten konnte, badete zu Hause und ging zur Kur. Den Weg vom Waschtisch zum privaten Badezimmer beschritt das Bürgertum im Zuge der Intimisierung der Körperpflege. Die biedermeierliche Lebenswelt legte dabei allergrößten Wert auf diskrete Möblierung, denn die Toilette fand zunächst in Wohnräumen, Salons oder Arbeitszimmern statt. Die ästhetische Vorliebe für einen einheitlichen Wohnungsstil kam dem verschämten Versteckspiel aufs schönste entgegen und trieb Tischler zu Höchstleistungen. Toilettentischchen und -schränkchen wurden im gleichen Material und Stil wie der Rest der Wohnung gefertigt, Spiegel wie die Fenster mit Volants verziert. Im Inneren eines mächtigen Herrensekretärs, der ganz und gar seriös in jedem Kontor hätte stehen können, verbirgt sich ein herausklappbares Marmorbecken. Besonderen Erfindungsreichtum bewies man in der Gestaltung der Zimmertoilette. Ein Klo in Form eines Foliantenstapels – darauf muß man erst einmal kommen.

Erst gegen Ende des 19.Jahrhunderts etabliert sich das Badezimmer als eigener Raum. Feste Installationen lösen mobile Bademöbel, wie die Zinkbadewanne, ab.

Ob luxuriös oder sachlich-funktional: das Badezimmer wird nun selbständiges Objekt von Architektur und Design, seine Ausstattung und Gerätschaft zum Ausdruck gesellschaftlicher Stellung, einer veränderten Körperkultur – und des persönlichen Geschmacks.

In diesem letzten Kapitel der Ausstellung, wo es denn auch um „unser“ Badezimmer gehen soll, fühlt man sich vielleicht ein wenig enttäuscht. Die Darstellung der ästhetischen und funktionalen Entwicklung vom Bad der Wiener Sachlichkeit zum Whirlpool wirkt unvermittelt und phantasielos. Einige Ungeheuerlichkeiten aus den 50ern, 60ern und 70ern – das ist mager für eine Ausstellung mit kulturhistorischem Anspruch. Die Fotografien zeitgenössischer Wiener Architekten- und Designerbäder, die einige ironische Beispiele für Rückverlegung und Umdefinition des Badezimmers in einen Wohnraum liefern, verweisen in diesem Zusammenhang auf nicht mehr als eine regionale Modeerscheinung.

Den Beweis für den unaufhaltsamen Niedergang der Badezimmerästhetik liefert jedenfalls der Sponsor, der in einem Kabuff am Ende der Ausstellung seine wirklich OBI-mäßig häßlichen Duschtassen und Wannen aufgebaut hat. Die Berichterstattende verabschiedet sich jetzt in ihre Wanne und ist ehrlich erfreut darüber, ein reinweißes Modell ohne Applikation einer „spanischen Straßenszene“ vorzufinden. Gibt's alles.

Die Ausstellung „Das Bad – Körperkultur und Hygiene im 19. und 20.Jahrhundert“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden ist noch bis zum 18.April 1993, dienstags bis sonntags von 9 bis 17 Uhr zu sehen. Der Katalog (Eigenverlag der Museen der Stadt Wien, 1991) kostet 31Mark.