Roma vor Vernichtung?

■ Osteuropäische Roma-Vertreter fordern Minderheitenstatus

Berlin (taz) – „Baut einer kein Haus, spuckt die Erde vor ihm aus“, schrieb die große russische Dichterin Marina Zwetajewa. Wenn diese Zeilen heute auf etwas zutreffen, dann wohl auf die Situation, in der das Volk der Roma und Sinti lebt. In der Epoche der Nationalstaaten scheint es ein unentschuldbares Verbrechen zu sein, als Volk ohne Land und Staat zu leben. Das zumindest war die bittere Bestandsaufnahme einer Tagung in Berlin, auf der osteuropäische Roma am Mittwoch ihre Lage und Auswege aus dem drohenden Ethnozid diskutierten.

Gekommen waren prominente Vertreter der Roma aus Polen, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien. Der Präsident der Romani-Weltunion, Rajko Djurić, berichtete stellvertretend über die Verfolgung von Roma in der ČSFR, Rumänien und Bulgarien. Dabei wurde deutlich, daß Roma in Osteuropa nicht nur gesellschaftlich und staatlich diskriminiert werden, sondern mittlerweile auch ihre Existenz als Volk auf dem Spiel steht.

Im ehemaligen Jugoslawien etwa sind die schätzungsweise 800.000 bis 1.000.000 Roma von einem Ethnozid bedroht, und in Polen fordern faschistische Parteien die Bevölkerung zu einer Vernichtung der rund 30.000 Roma auf. Für Ungarn konnte der Schrifsteller und Roma-Politiker Menyhért Lakatos nur feststellen, daß der Eindruck eines friedlichen Landes täusche, wenn es um die dort lebenden 800.000 Roma gehe. Am schlimmsten sind derzeit die 2 Millionen Roma in Rumänien betroffen: Dort fanden seit dem Sturz des Diktators Ceaușescu im Dezember 1989 mindestens 26 Pogrome statt, bei denen mehrere hundert Roma ermordet wurden.

Obgleich nach diesen Berichten kein Zweifel daran aufkam, daß angesichts des drohenden Ethnozides ein schnelles Eingreifen zum Schutz der verfolgten Roma nötig ist, ließ die Diskussion über das Wie kaum Illusionen aufkommen. Einig waren sich die Roma-Vertreter darüber, daß von der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung keine Solidarität für den Schutz der Roma zu erwarten sei. Doch eine weltweite Organisation, die tatsächlich alle Roma vertritt und nicht nur als lockerer Dachverband fungiert, wie die Romani-Weltunion, bleibt vorerst wohl ein Traum. Die Vielzahl von Roma-Parteien und -verbänden, die in allen Ländern Osteuropas nach 1989 gegründet wurden, sind heillos zerstritten.

So blieb den Roma-Vertretern, in einer Resolution an die UNO, das Europaparlament und die europäischen Regierungen für Roma den Status einer nichtterritorialen Minderheit zu fordern. Das würde ihnen einen Paß sichern, mit dem sie europaweit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen bekommen könnten. „Wir wollen keinen Sonderstatus für uns“, so Djurić, „uns ist schon ein Sonderstatus aufgedrängt worden, aus dem wir herauswollen.“ KV