Nachdenkliches zum Rassismus im Bundestag

■ Oskar Lafontaine plädiert für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht/ Ungewohnt leise Töne und Frage vom CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble

Bonn (taz) – Auf die Regierungserklärung des Kanzlers folgte Oskar Lafontaine (SPD). Der saarländische Ministerpräsident eröffnete seine Rede mit Bertolt Brecht („Der Schoß ist fruchtbar noch“). Der erste Redner der FDP, Parteichef Otto Graf Lambsdorff, stellte Heinrich Heine („Denk' ich an Deutschland in der Nacht“) voran. Der Fraktionsvorsitzende der Union begann mit Mölln. Weil er – ungewöhnlich genug für Politiker-Erklärungen – die drei Opfer mit Namen, Alter, Herkunft nannte und beschrieb, klang seine Feststellung „Mölln ist kein Einzelfall“ nicht hohl.

Wolfgang Schäuble, der ein Jahr lang die SPD mit seinem unerbittlichen Ceterum censeo in der Asylfrage bedrängt hat, gebrauchte gestern vor allem ein vorsichtiges, ein abwägendes Wort: vielleicht.

„Ich glaube nicht, daß Ihre Antworten ausreichend sind“, wandte Schäuble gegen seinen Vorredner Lafontaine ein. Der hatte auf die Frage, wie mit der „Renaissance des Rechtsradikalismus“ umzugehen sei, vor allem zwei Antworten gegeben. Statt eines Nationenbegriffs, der sich auf die Abstammung bezieht, verlangte er ein modernes Staatsbürgerrecht. „Wenn wir endlich auch in Deutschland wie in anderen westlichen Staaten ... zu einem republikanischen Begriff der Nation kommen könnten, dann hätten wir dem deutschen Rechtsradikalismus einen seiner giftigsten Zähne gezogen.“ Weite Passagen seiner Rede widmete Lafontaine der Verunsicherung durch Perspektivenverlust, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. Das führe dazu, „daß in dem anderen nicht mehr der Mitbürger, sondern nur der Konkurrent gesehen wird“. Lafontaine: „Nichts radikalisiert die Menschen so sehr wie das Bewußtsein und die Erfahrung sozialer Ungerechtigkeit.“

Fast so, als habe er Lafontaine nicht verstanden, wehrte Schäuble die Forderung nach einem neuen Staatsbürgerverständnis lediglich mit einer Bemerkung ab. Vielleicht habe die Entwicklung doch mehr damit zu tun, daß „junge Menschen sich der Grundlagen unseres Staates nicht mehr bewußt seien“, so Schäuble zu Lafontaines Erklärungsmuster. Vielleicht sei der große Umbruch der sechziger Jahre noch nicht verarbeitet, auf den Abbau tradierter Werte ein Aufbau neuer nicht ausreichend gefolgt. Vielleicht beschäftige sich die Gesellschaft zu sehr mit wirtschaftlichen und sozialen Besitzständen, wie sie sich in der Nachkriegszeit zu ausschließlich auf den wirtschaftlichen Aufbau konzentriert habe. Vielleicht habe es zu viele Entwicklungen gegeben, in denen Tabus bewußt gebrochen worden seien, nun folge auch das allerletzte: das des Nazi-Barbarismus.

Vielleicht, wäre anzufügen, war der Tenor von Schäubles Rede, der Verzicht darauf, alles zu wissen und immer schon recht gehabt zu haben, aufrichtig. Dann wäre von den Demonstrationen und Veranstaltungen in Berlin und München, auf die sich gestern auch der Kanzler berief, in Bonn etwas angekommen. Tissy Bruns