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„Rechtsextremen Giftzahn ziehen“

■ Bundestag debattierte Fremdenfeindlichkeit/ Jetzt auch rechte „Deutsche Alternative“ verboten

Bonn (taz) — In diesem Jahr wurden über 2.000 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten registriert, das Potential der militanten Rechtsextremisten muß auf über 6.000 Personen geschätzt werden. Diese Zahlen nannte Bundeskanzler Helmut Kohl gestern vor dem Bundestag. In der mehrstündigen Debatte über den Rechtsextremismus wuchsen die Parlamentarier gelegentlich über das schablonenhafte Bekenntnis von „Scham, Trauer und Bestürzung“ hinaus. Auch Kohls Regierungserklärung beschäftigte sich nicht mehr vorrangig mit der Frage, wie Deutschland im Ausland scheinen soll, sondern damit, wie es wirklich ist. „Die Zwischenbilanz ist erschreckend.“

Erstmals nannte der Kanzler ungeschminkte Zahlen über das Ausmaß rechtsextremer Gewalt. 650 Brand- und Sprengstoffanschläge seit Jahresbeginn, 1.850 Taten mit „fremdenfeindlicher Zielsetzung“, die große Mehrzahl der Täter zwischen zwölf und zwanzig Jahren. Doch der obligatorische Hinweis auf den Linksextremismus fehlte auch diesmal nicht. Die „wehrhafte Demokratie“, zu der sich dann auch FDP und die sozialdemokratische Opposition bekannten, „wird sich auch jetzt beweisen“. Was darunter zu verstehen ist, war dann jedoch selbst innerhalb der Koalition strittig. Die Forderungen der Unionsfraktion nach Gesetzesverschärfungen wurden von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ausdrücklich abgelehnt. Regierungsparteien und SPD riefen alle Bürger auf, nicht wegzusehen, und verlangten die konsequente Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols.

Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) und Unions- Fraktionschef Wolfgang Schäuble dachten mit unterschiedlichen Ergebnissen über die möglichen Ursachen von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit nach. Lafontaine forderte, das Staatsbürgerrecht zu verändern und die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mehr nach der Abstammung zu bestimmen. So könne dem Rechtsextremismus „ein Giftzahn“ gezogen werden. Allein mit einem „Bündel von Repressivmaßnahmen“ seien die Probleme nicht zu lösen, beklagte auch Ingrid Köppe vom Bündnis 90/Die Grünen. Gregor Gysi (PDS) wies darauf hin, daß die Politiker der etablierten Parteien und nicht die Skinheads zuerst davon gesprochen hätten, „das Boot sei voll“ und Deutschland würde von „Wirtschaftsasylanten überflutet“. Er vermisse das Nachdenken über die die Mitverantwortung an der Explosion der rechten Gewalt.

Noch am Morgen vor der Parlamentsdebatte hatte Innenminister Seiters das Verbot der rechtsextremistischen Partei „Deutsche Alternative“ (DA) verkündet. Nach den Mordanschlägen in Mölln ist dies das zweite Parteienverbot. In acht Bundesländern durchsuchte die Polizei daraufhin Wohnungen von führenden DA-Aktivisten. In Hoyerswerda wurde ein Mitglied der DA-Führung festgenommen. Ihm wirft die Polizei vor, an einem Überfall auf eine Pizzeria beteiligt gewesen zu sein. Dabei wurde ein Koch schwer verletzt. Den Namen des Festgenommenen teilte die Polizei nicht mit.

Die DA zählt bundesweit etwa 1.000 Mitglieder. Allein in Brandenburg sollen 500 bis 600 Personen dabei sein. Die Zahlen nannte Brandenburgs Verfassungsschutzchef Wolfgang Pfaff gegenüber der Presse. Etwa die Hälfte der Mitglieder habe Beiträge gezahlt. Pfaff begründete das Verbot aus Sicht der Landesregierung mit dem Wunsch, „daß der Rechtsstaat Flagge zeigt und sagt, bis hier und nicht weiter“. Die DA, obwohl als Partei registriert, ist vom Bonner Innenminister verboten worden und nicht vom Bundesverfassungsgericht. In der Verbotsbegründung heißt es dazu, eine Überprüfung der Organisation habe ergeben, daß es sich bei ihr um keine Partei im Sinne des Artikels 21 GG handelt. DA-Chef Frank Hübner aus Cottbus wurde nicht festgenommen, sondern verhört. Bei den Staatsanwaltschaften in Brandenburg sind allerdings gegenwärtig 11 Ermittlungsverfahren anhängig, in denen es „klare Beweise“ für eine Mittäterschaft von DA-Mitgliedern gebe. Tissy Bruns/Wolfgang Gast Seiten 2, 5 und 10

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