Ponderosa schlägt Bürgerschaft

■ Die mühsame Suche der CDU nach einem Bürgermeisteranwärter: »Lieblings«-Kandidat« ziert sich, Pflicht-Kandidat möchte sich nicht in die Pflicht nehmen, und sonst mag auch keiner so recht.

Das Karussell dreht sich und dreht sich, aber keiner springt auf. Spätestens im Frühjahr 1993 möchte die Hamburger CDU den Nachfolger des erfolglosen Hartmut Perschau küren, der nach dem Unions-Wahldebakel im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt Asyl suchte. Und eigentlich wäre es jetzt an der Zeit für potentielle Bewerber, sich aufzuschwingen aufs Kandidatenpferdchen und um die nötige Unterstützung für den Nominierungsparteitag zu werben. Aber: Niemand traut sich.

Wer soll es auch machen? Der, dem man die fetteste Stimmen- Beute zutraut, ziert sich. Martin Willich, Fraktionsvize in der Bürgerschaft, mag sich von seinem Geschäftsführer-Stehpult im Studio Hamburg nicht trennen. Der wortgewaltige Fernsehmanager fühlt sich auf dem Jenfelder Kintop-Gelände so wohl wie einst Ben Cartwright auf seiner Ponderosa.

Alles so schön heimisch, jeder grüßt ihn, einfach prima. Und dann als Vollzeitpolitiker ins Rathaus wechseln? Dort, wo es mangels echter politischer Gegner so langweilig ist? Dort, wo man vor nicht allzu langer Zeit versucht hat, ihn zum Diäten-Sündenbock zu stempeln? Noch dazu auf der Oppositionsbank? Brrr, wie unwirtlich.

Soweit die offizielle Version, verbreitet von Presse, Funk, Fernsehen und gelegentlich auch von Martin Willich selbst. Aber es gibt auch eine inoffizielle Version, und die dreht sich um den Querdenker Willich, der sich der Unterstützung seiner Parteifreunde keineswegs so sicher ist, wie es für eine erfolgversprechende Kandidatur nötig wäre. Die politischen Vorstellungen des gebürtigen Erfurters passen gar nicht zu denen der Unions-Führungsclique um Parteichef Dirk Fischer und seinen Vorgänger Jürgen Echternach.

Willich denkt gern mal über die Möglichkeiten einer grün-schwarzen Koalition nach, steht überhaupt nicht auf Zusammenarbeit mit der FDP und stimmt auch in Sachfragen schon mal gegen den Vorstandswillen. Jüngstes Beispiel: Die Diskussion um den Paragraphen 218, in der sich Willich mit den Parteifrauen und gegen seinen Vorsitzenden für die Fristenlösung aussprach. Ein Zählkandidat, dem im Ernstfall die eigene Partei in den Rücken fällt? Das hat schon anderen Querköpfen das politische Genick gebrochen. Will-ich-nicht.

Also der Parteichef selbst? Der, der im Polit-Regelfall ran muß, wenn sich kein anderer findet. Doch Dirk Fischer hat gleich mehrere Probleme: 1. Ein nettes Mandat in Bonn, das gibt man ungern auf. 2. Zu wenig Charisma, da bleibt man doch lieber verkehrspolitischer Fraktionssprecher im Bundestag. 3. Zu wenig Erfolgsaussichten. 4. Fischer hat sich schon zu oft als „Notlösung“ für das Amt eines Spitzenkandidaten bezeichnet, um von der Öffentlichkeit nicht auch als solche empfunden zu werden.

Also die Lösung nach dem Niedersachsen-Muster? Im Nachbarland bestimmte der Parteivorstand vor wenigen Wochen den weitgehend unbekannten Osnabrücker Stadtverordneten Christian Wulf zum Spitzenkandidaten für die nächsten Landtagswahlen. Wulf ist 33 Jahre alt. Ein talentierter Jungpolitiker, ein unverbrauchtes Gesicht, wie die niedersächsische Presse ein wenig mitleidig feststellte.

Die Hamburger Union indes würde sich freuen, könnte sie einen Wulf präsentieren. Sie kann es nicht. Denn die Elb-CDU verfügt zwar über eine Reihe fleißiger Jung-Abgeordneter, wie Jürgen Warmke, Andreas Mattner, Heino Vahldieck oder Ole von Beust, aber den Spitzenkandidaten-Posten traut die Partei offenbar keinem zu. Ein Tribut an die Echternach-Ära, in der Nachwuchs-Pflege nicht gerade großgeschrieben wurde.

Etwa eine Frau? Ach was. Seit Treuhandchefin Birgit Breuel gelangweilt abgewunken hat, verschwendet in der christdemokratischen Herrenriege keiner mehr einen Gedanken an derartige Experimente.

Also ein Import aus Bonn? Hoch im Spekulations-Kurs steht derzeit Gunnar Uldall, Bundestagsabgeordneter, Schatzmeister der Hamburger Union und derzeit Kandidatenkandidat für alle Fälle. Zuletzt auch für den Chefsessel der norddeutschen Landeszentralbank. Doch der smarte Finanzexperte drängelt sich weder um den einen noch um den anderen Posten. „Kein Kommentar“, läßt er aus seinem Bonner Büro verlauten.

Kein Wunder also, daß der Statthalter auf dem Posten des Oppositionsführers im Rathaus, Rolf Kruse, im kleinen Kreis mal fallenläßt, daß er den Job wohl noch ein paar Jährchen weitermachen wird. Kruse hat zwar keinerlei Ambitionen, die Spitzenkandidatur auch nur pro forma zu übernehmen, aber undenkbar ist es nicht, daß der Sozialpolitiker auch in der nächsten Legislaturperiode noch in der ersten Oppositionsreihe sitzt. uex