Allein in Mitte 9.000 „in der Kreide“

■ Wohnungsgesellschaften befürchten weiteren Mietschulden-Anstieg

Berlin. Fast jeder vierte Mieter der kommunal verwalteten Wohnungen in Mitte steht gegenwärtig bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft „in der Kreide“. Rund 9.000 Haushalte schulden ihr insgesamt etwa fünf Millionen Mark Miete. In dieser Summe sind nach Aussage des kaufmännischen Prokuristen Joachim Gatzen noch nicht einmal alle offenen Forderungen enthalten, da diejenigen, die in der Wende-Zeit buchstäblich „über Nacht“ ihre Wohnungen verlassen haben, kaum belangt werden können.

Trotz dieser „Ausfälle“ bescheinigt Gatzen den Mietern in Mitte „eine recht gute Zahlungsmoral“. Sie sei besser als 1991, als die Wohnungsbaugesellschaft noch 12.000 Schuldner registrierte. Viele der Säumigen können seiner Meinung nach wegen schlechter sozialer Lage ihren Verpflichtungen beim besten Willen nicht nachkommen. Die Zahl der Räumungsklagen stieg dennoch von elf im Vorjahr auf 138 in den ersten elf Monaten 1992. Vollstreckt wurden in diesem Jahr bisher zehn.

Anders als in Mitte taten sich viele Wohnungsbaugesellschaften bei einer Umfrage schwer mit konkreten Angaben. Als Gründe für die Zurückhaltung wurden zum Beispiel in Pankow die „Sensibilität des Themas“ und „die ohnehin vorhandenen Ängste der Bevölkerung wegen der bevorstehenden Mieterhöhungen“ genannt. Angesichts dessen halte die Geschäftsführung der GmbH die Veröffentlichung von Zahlen derzeit nicht für sinnvoll, so Bereichsjustitiar Klaus Böttcher. In jedem Fall suche man mit dem Sozialamt aber „nach einvernehmlichen Lösungen“ für die Betroffenen.

Wie Böttcher bestritt auch die Pressesprecherin der Marzahner Wohnungsbaugesellschaft, Anneliese Siemon, jedoch nicht, daß die offenen Forderungen ein „erhebliches Problem“ darstellen. Sie befürchtet sogar, daß der gegenwärtige Schuldenberg von rund 3,5 Millionen Mark im kommenden Jahr weiter wächst. Zumindest die derzeit etwa 3.000 Säumigen könnten mit der Mieterhöhung ab Januar noch mehr in Bedrängnis geraten, so Frau Siemon. Zur Anzahl der Zwangsräumungen im Bezirk wollte sie sich nicht äußern. Es gebe aber monatlich „einige“.

Demgegenüber sieht die Senatsbauverwaltung in den Mietschulden „kein großes Thema“. Sie seien nur ein „Übergangsproblem“, meinte Referent Wolfgang Krumm. Nach seiner Aussage gab es im Ostteil der Stadt per 31. März 1992 rund 73.000 Mietschuldner. Die Rückstände beliefen sich insgesamt auf etwa 39 Millionen Mark. 70 Prozent der Betroffenen schuldeten laut Statistik ein bis zwei Monatsmieten, 30 Prozent drei und mehr. Die Gesamtzahl der Säumigen sei jedoch relativ konstant, erklärte Krumm. Eine Verschärfung der Situation dürfte seiner Meinung nach ab Januar kaum auftreten, da das „hohe Wohngeld Ost viel abfange“.

Zu den Hauptproblemen zählt Anneliese Siemon die Scheu der Menschen vor dem Weg zum Sozialamt, insbesondere wegen der damit verbundenen persönlichen Offenbarung. Die Marzahner Wohnungsbaugesellschaft hat deshalb speziell für Personen mit Zahlungsschwierigkeiten einen Mieterservice eingerichtet. Außerdem wurde ein Beratungskatalog für Mitarbeiter erarbeitet, mit dessen Hilfe je nach individuellem Fall die Adressen und Sprechzeiten von Verbänden, Hilfsorganisationen und weiteren Beratungsstellen vermittelt werden können. Wichtig sei jedoch, so Frau Siemon, daß die Mieter bei finanziellen Schwierigkeiten so früh wie möglich Kontakt mit der Wohnungsbaugesellschaft aufnehmen. Christina Schultze/adn