Der männlichen Gewalt auf der Spur

Internationaler Kongreß gegen sexuelle Gewalt in Wien/ Ist die westliche Demokratie eine „Männerdemokratie“?/ Strategien gegen häusliche Gewalt gegen Frauen gesucht/ Erfahrungsberichte aus den USA  ■ Von Karin Flothmann

Ist Österreichs Bundeskanzler Franz Vranitzky etwa ein Softie? „Gewalt gegen Frauen“, so resümierte er kürzlich in der Eröffnungsrede eines Kongresses, „ist kein Thema, das nur die Frauenministerin und Familienpolitiker betrifft. Es zieht sich durch alle Politikbereiche, durch alle Bereiche einer Demokratie.“ Wann solche Worte wohl je aus dem Munde Kohls erklingen? „Geschlechterdemokratie und Gewalt“, unter diesem Motto lud Johanna Dohnal, Österreichs Ministerin für Frauenangelegenheiten, nach Wien, um mit einem Kongreß ihre Kampagne gegen sexuelle Gewalt zu starten. Bei dem Kongreß ging es jedoch um mehr als die Behandlung einer reinen „Frauenangelegenheit“. „Es ist an der Zeit, westliche Demokratien, so wie sie derzeit existieren, in Frage zu stellen“, so Charlotte Bunch, Professorin der Rutgers University in New Jersey. Sie konstatierte das Versagen der „Männerdemokratie“, denn Demokratie startete „als ein Konzept, das für eine Handvoll privilegierter weißer Männer gedacht war“, ein solches Konzept ist heute nicht mehr haltbar.

Das Motto der Tagung, zu der 390 interessierte Frauen und zehn Männer anreisten, verpflichtete zu einer Analyse der Gewalt gegen Frauen – und die lieferte die Essayistin Barbara Ehrenreich. Untersuchungen in Millionenstädten wie Hongkong oder Quito haben ergeben, daß mehr als die Hälfte aller verheirateten Frauen dort routinemäßig von ihrem Mann verprügelt werden. In den USA kommt die Mehrzahl aller Frauen in die Notfallambulanz eines Krankenhauses aufgrund von Verletzungen, die von Schlägen stammen. Und eine von fünf Frauen muß damit rechnen, in ihrem Leben vergewaltigt zu werden. „Gewalt gegen Frauen“, konstatierte Ehrenreich, „ist eng verknüpft mit organisierten, legalen Formen der Gewalt, mit dem Sport, mit gewalttätiger Pornographie in den Unterhaltungsmedien, mit der zerstörerischsten Form von Gewalt, dem Krieg.“

In den USA hat sich mehr und mehr die Sichtweise durchgesetzt, daß das Problem nicht der Mann, sondern das kulturelle Konstrukt der Männlichkeit ist. Diese „kulturelle Erfindung“ basiert nach Ehrenreich auf einem Kriegermodell, welches den Gebrauch von Waffen und Gewalt den Männern vorbehält. „Das männliche Ideal ist nie der sensible Künstler, sondern der Krieger: Alexander der Große, Napoleon, Schwarzkopf oder Schwarzenegger.“ In Vietnam wurden US-Soldaten, die noch niemanden getötet hatten, als Jungfrauen bezeichnet. Männer werden durch die Gewalttat zum Manne, egal ob in den Initiationsriten von Urkulturen oder in der modernen Version der Straßenbanden. Der Schritt zur Gewalt gegen Frauen ist nicht schwer.

Echte Geschlechterdemokratie macht eine neue Rechtsphilosophie erforderlich, neue Gesetze, eine neue Rechtsprechung. Denn, das monierte die österreichische Rechtswissenschaftlerin Silvia Siegmund-Ulrich, „der Feminismus stößt immer wieder auf den bürgerlich-revolutionären Mythos liberaler Rechtsstaatlichkeit, den Gleichheitsgrundsatz. Und dieser Grundsatz ist in der Praxis eine männliche Zauberformel ohne Inhalt.“ Und auch die Berliner Juristin Susanne Baer verwies darauf, daß das Recht in der Männerdemokratie eine besondere Art der Realität produziere, die sehr weit von der Lebensrealität von Frauen entfernt sei. Sie plädierte daher vehement für eine feministische Rechtskultur, wie sie in den USA seit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung existiert.

Wie feministische Rechtstheorie aussehen kann, beweisen die Arbeiten von Catherine MacKinnon. In ihren Ausführungen legte die Professorin für Rechtswissenschaften an der University of Michigan dar, wie gängige Rechtsprechung den Gleichheitsgrundsatz verdreht. Zwar verspricht das höchste demokratische Ideal im Recht die Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Doch in der Rechtsprechung gilt die Norm, und die ist weiß und männlich. Gleichheit ist nicht gemeint als Angleichung, doch das übersieht die Rechtsphilosophie. MacKinnon wirft den Gesetzen daher „gender blindness“, Geschlechtsblindheit, vor. Das Leugnen der Geschlechterdifferenz ist nach ihrem Dafürhalten Grund für die ungleiche Behandlung vor Gericht.

Als Mitarbeiterin des „Women's Legal Education and Action Fund“ in Torronto arbeitete Catherine MacKinnon zusammen mit anderen Juristinnen in den letzten Jahren auf die Veränderung der Kanadischen Gesetzgebung hin. Und sie können Erfolge präsentieren. „Wir argumentierten beispielsweise, daß Frauen ein Recht darauf haben, nicht zur Mutterschaft gezwungen zu werden, und daß Männern nicht die Macht gegeben werden darf, einen Schwangerschaftsabbruch gerichtlich verhindern zu können. Das Gericht in Kanada kam daraufhin zu dem Schluß, daß Männer nicht das Recht haben, Abtreibungen zu verhindern.“

Daß Gesetzesänderungen Täter dazu zwingen können, Verantwortung zu tragen, und daß sie darüber hinaus zu einem veränderten Rechtsbewußtsein in der Gesellschaft und ihren Institutionen beitragen, zeigen US-amerikanische Erfahrungen. Anders als bei uns, fragen US-Amerikanerinnen pragmatischer nach Hilfen gegen Gewalt und fordern accountability, das Übernehmen von Verantwortung, ein. In den USA gibt es seit den 70er Jahren eine breite Bewegung von Frauen gegen die alltägliche Gewalt schlagender Männer. Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und Frauennetzwerken forderten effektivere Gesetze, die geschlagenen Frauen Schutz bieten, verlangten Gesetze, die es der Polizei vorschreiben, Männer auch bei kleineren Übergriffen vorläufig festzunehmen. In den 80er Jahren arbeiteten Feministinnen mit der bundesstaatlichen Legislative zusammen, um in jedem einzelnen Staat entsprechende Gesetze durchzusetzen. Mittlerweile gibt es in 48 US-Bundesstaaten eine sogenannte order for protection. Danach kann ein Richter den schlagenden Mann per Gerichtsbeschluß seines Hauses verweisen, geschlagene Frauen haben einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Schutz und Unterhalt.

Der Schutz der Opfer steht auch im Mittelpunkt des Duluth Domestic Abuse Intervention Project (DAIP = Duluther Interventionsprojekt bei häuslichem Mißbrauch). Unter dem Dach dieses Projekts in Duluth, einer Stadt mit etwa 100.000 EinwohnerInnen im Bundesstaat Minnesota, haben sich 1981 neun Einrichtungen auf schriftlich fixierte Strategien und ein koordiniertes Vorgehen in Fällen häuslicher Gewalt geeinigt. „Wir setzen in Duluth darauf, daß es Gesetze und Verordnungen geben muß, die Männer in die Verantwortung zwingen“, beschrieb Michael Paymar vom DAIP die Grundidee des Projekts.

1981 stimmte die Polizei in Duluth einer Pro-Arrest-Politik zu. Das heißt, wenn Polizeibeamte heute zu einem Haus kommen und feststellen, daß eine Frau durch Prügel verletzt wurde, dann müssen die Beamten den Schläger festnehmen. Der mutmaßliche Täter wird bis zur Anklageerhebung, die innerhalb von 36 Stunden stattfinden muß, festgehalten. In der Zwischenzeit nimmt eine Mitarbeiterin des Frauenhauses Kontakt mit der mißhandelten Frau auf, klärt sie über ihre Rechte auf und weist sie auf die Möglichkeit hin, dem Täter per einstweiliger Verfügung (order of protection) zu untersagen, in das gemeinsame Heim zurückzukehren. Erkennt das Gericht auf schuldig, so kommt es zu einer gerichtlichen Voruntersuchung, bei der sowohl die Sicht des Täters als auch die des Opfers berücksichtigt wird. In der Regel verhängt das Gericht eine Haftstrafe von 30 bis 90 Tagen, die auf Bewährung ausgesetzt wird. Die Bewährungsauflagen beinhalten die Teilnahme an einem vom DAIP angebotenen Beratungs- und Erziehungsprogramm für schlagende Männer. Kommt der Täter nicht zu dieser Gruppe oder wird er wieder gewalttätig, muß er ins Gefängnis.

Michael Paymar arbeitete mehrere Jahre in Gruppen mit schlagenden Männern, bevor er sich auf die Schulung von Polizeibeamten spezialisierte. Seit 1986 sind solche Trainings mit Blick auf den häuslichen Mißbrauch in Minnesota gesetzlich angeordnet. „Nach meinen Erfahrungen unterscheiden sich die Einstellungen von Schlägern und Polizisten nicht besonders“, meinte er, und seine Kollegin Ellen Pence kann ihm nur zustimmen. „Im Laufe meiner Arbeit im Frauenhaus von Duluth meinte ein Polizist zu mir: ,Wissen Sie, da ist etwas an einer geschlagenen Frau, das veranlaßt einen einfach, immer wieder zuzuschlagen.‘“ Versuchten Pence und andere Mitarbeiterinnen früher noch, Polizeibeamte zu überzeugen und zu Verbündeten zu machen, so haben sie dies längst aufgegeben, „das ist ein reines Burn-out-Unterfangen.“ Das heutige Training konzentriert sich auf konkrete Handlungsanweisungen: Wie muß ein Bericht abgefaßt sein, was muß drinstehen, wie müssen Untersuchungen ablaufen, worauf muß dabei geachtet werden. „Wir betonen immer wieder“, stellt Paymar klar, „wie wichtig genaue Berichte sind. Denn wir wissen, daß Frauen vor Gericht oft nicht gegen ihren Mann aussagen, und das aus gutem Grund. Häufig werden sie von ihrem Mann bedroht. Um also einen Täter dennoch dingfest machen zu können, müssen die Berichte bis ins letzte Detail stimmen und vor allem auch die Erfahrungen der Frauen beinhalten.“

Alle Institutionen in Duluth – egal ob Polizei, Gericht, Sozialämter oder Beratungsstellen – koordinieren ihre Arbeit mit einem einzigen Ziel: den Frauen Sicherheit zu bieten, indem der Täter zur Verantwortung gezogen wird. Die Hauptaufgabe des DAIP ist dabei die laufende Kontrolle aller Institutionen. Jeder Fall häuslicher Gewalt wird erfaßt und dokumentiert. MitarbeiterInnen des Projekts haben Zugang zu allen Polizeiberichten, nehmen an Gerichtsverfahren teil, begutachten die Berichte der Bewährungshelfer.

Mittlerweile ist jeder zwanzigste Mann in Duluth bereits wegen häuslicher Gewalt gegen Frauen an das DAIP verwiesen worden. Gewalt in Beziehungen steht auf den Lehrplänen der Schulen. Achtzig Prozent der Frauen, die die Hilfsangebote des Frauenhauses oder des DAIP in Anspruch nahmen, werden heute nicht mehr geschlagen. Als Koordinatorin eines Programms zum Schutz von Frauen und Kindern in Notfällen am Bostoner Kinderkrankenhaus bezweifelt Susan Schechter den Erfolg der zwangsweise angeordneten Beratung von Schlägern. „Die meisten von uns glauben mittlerweile, daß bloße Beratung gewalttätige Männer nicht von ihrem Tun abhalten kann.“ Selbst in Duluth hat eine Begleitstudie über fünf Jahre ergeben, daß vierzig Prozent der Männer, die eine Beratung durchlaufen haben, erneut gewalttätig werden. Andere Studien fanden heraus, daß zwei Drittel der Schläger ihre Partnerin nach einem Beratungsprogramm erneut terrorisierten. Wenn sich an der Einstellung, Gewalt in einer Beziehung sei eine reine Privatangelegenheit, etwas ändern soll, dann hilft nur ein System von Sanktionen, Kontrollen und Strafen, um Männer davon abzuhalten, ihre Frauen zu schlagen.

Auf die Frage, ob Bundeskanzler Vranitzky ein Softie ist, gab der Kongreß keine befriedigende Antwort. Denn ihm beliebte es, dem weiteren Verlauf des Kongresses fernzubleiben. Dabei hätte er doch glatt was lernen können...