„Oh, wie hasse ich Moscheen“

In Mazedonien sind die Nationalitätenkonflikte zwischen Mazedoniern und Albanern, Christen und Muslimen bereits voll entbrannt/ Aus Alteingesessenen werden Ausländer, aus Nachbarn Fremde  ■ Von Roland Hofwiler

Drei Busse werden ins Dorf eskortiert. Mit Blaulicht fährt das Polizeiauto voraus. Frauen, Kinder und alte Männer steigen am Dorfplatz aus. Der Muezzin ruft zum Gebet. Mütter weinen.

Die Mehmed-Alieva-Moschee füllt sich mit Menschen. Der Beg, der Geistliche, begrüßt die Neuankömmlinge. Alija, gerade 19 Jahre alt, wendet sich ab, rennt aus dem Gebetshaus und schreit: „Das ist nicht meine Welt!“

Er erzählt von seiner Zeit in Slowenien: „Im Morgengrauen kam die Polizei und erklärte meinem Vater: Hören Sie, Sie können hier in Ljubljana weiterarbeiten, aber Ihre Familie muß gehen. Sie verstehen, Ihre Heimat ist doch der Balkan.“ Der junge Mann kann nicht weitersprechen. Tränen rollen ihm über die Wangen.

Alija kam in Slowenien zur Welt, besuchte in Slowenien die Schule, hatte slowenische Freunde, ist mit einem slowenischen Mädchen verlobt. Kurz, er fühlt sich als Slowene. Jeder Muslimane war und ist ihm fremd. Und doch ist sein Makel sein Schicksal: Seine Eltern stammen aus dieser kleinen islamischen Enklave zwischen dem mazedonischen Ohridsee und Albanien. Vor 23 Jahren waren sie, Angehörige der kleinen türkischen Minderheit, zusammen mit anderen Familien, aus diesem Dorf Lubunista, Verwaltungsbezirk Struga, südjugoslawische Republik Mazedonien, in die nordjugoslawische Republik Slowenien übergesiedelt. Sie bauten sich ein Einfamilienhaus und sie wurden im Alpenvorland heimisch. „Aber auf einmal sind wir Ausländer“, klagt der junge Mann auf slowenisch. Denn mazedonisch geht ihm nicht über die Lippen. Er fühlt sich verloren. Und die Bürger von Lubunista verstehen sein Klagen nicht. Sie haben andere Probleme.

„Überbevölkerte Regionen“

In Lubunista wächst die Repression nämlich buchstäblich in den Himmel. 7000 Menschen leben hier auf engstem Raum. Nicht selten schießen die Gebäude sieben bis neun Stockwerke in die Höhe. Häuser, deren Grundrisse einfachen Einfamilienhäusern gleichen und die auch in diesem Sinne errichtet wurden. Da die staatlichen Behörden es den Bauern aber seit Jahrzehnten nicht erlaubten, neues Bauland zu erschließen, so gingen diese dazu über, ihre Höfe auf den alten Grundstücken auszubauen – in die Höhe.

Ein grotesker Anblick, denn unweit des Dorfkerns reihen sich kilometerlang Felder an Felder, Wiesen an Wälder. Es mangelt nicht an Fläche. Doch aus kommunistischer Zeit existiert noch ein Dekret, das auch die neuen Demokraten nicht ändern wollen: In „überbevölkerten Regionen“ dürfen keine neuen Wohnungen mehr erstellt werden. Und weiter: „Nur der Zuzug von Mazedoniern darf erlaubt und muß durch Steuervergünstigungen und andere Anreize gefördert werden.“

Ein Blick auf die Statistik verrät: Von zwei Millionen Einwohnern der Republik bekannten sich 1991 offiziell 64 Prozent als Mazedonier, 21 Prozent als Albaner, jeweils vier Prozent als Türken, Serben, Roma und mehrere kleinere Teile als Rumänen, Muslimanen, Griechen und Bulgaren. Soziologen schätzen jedoch das wahre Nationalitätenverhältnis noch mehr zu Ungunsten der mazedonischen Nation. Da von Seiten der Minderheitenvölker die letzte Volkszählung boykottiert wurde, um gegen die immer stärker werdende Diskriminierung zu protestieren, beruhen die Angaben insgesamt mehr auf staatlichen Schätzungen als auf tatsächlichen Befragungsergebnissen.

Eine Tendenz zeigt sich jedoch: Die Landkreise, in denen das „Staatsvolk“ der Mazedonier weniger als zwanzig Prozent der Bevölkung stellt, sind gleichzeitig jene mit der größten Bevölkerungsdichte. Da die neue Staatsverfassung dem Potpourri aus Nationalitäten keine Minderheitenrechte zugesteht und die Republik Mazedonien als „Nationalstaat der Mazedonier“ definiert wird, versuchen diese zumindest in ihren Gemeinden „unter sich“ zu bleiben, im privaten Bereich die eigene Sprache und Kultur zu wahren. Die einen verschließen sich so freiwillig in Ghettos wie Lubunista, andere werden dazu gezwungen.

Buranedin, der Überlebende

Buranedin Ademi ist Jugoslawe albanischer Abstammung. Das sagt er von sich. Er spricht serbisch, die Sprache seiner Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Von wo seine Vorfahren stammen, weiß der Konditormeister nicht. Es hat ihn nie interessiert.

Er weiß nur: Seit Generationen wohnten die Ademi in Paracin, einer kleinen serbischen Stadt. Sie waren angesehene Leute. Buranedin führte ein Kaffeehaus, ein Vetter machte sich als Goldschmied einen Namen. Doch nun leben die Ademi in Velesta, dem Nachbardorf von Lubunista. Denn auch sie mußten gehen. Ihr albanischer Name und ihre ursprünglich albanische Herkunft stempelte sie Anfang des Jahres zu Ausländern.

„Geh' zum Albanerpack, Dich können wir nicht mehr brauchen.“ Das schmierten ihm eines Tages Unbekannte an die Fensterscheiben des Kaffeehauses. Als dann wenige Tage später die Polizei vorbeikam und ihm sagte, sie hätten eine Gemeinde gefunden, in der man einen Konditormeister suchte, die liege aber in Mazedonien – da sei ihm alles klar gewesen. Der kleine dunkelhaarige Mann, der sich noch immer den traditonellen serbischen Schnurrbart wachsen läßt, lacht unter diesem hervor: „Ja, so ist es eben auf dem Balkan. Wer den falschen Namen trägt, wird ethnisch weggesäubert – und nicht immer so fein wie in meinem Fall.“

Konditormeister Ademi hatte nämlich noch Glück. Er konnte seinen Besitz im Sommer zum realen Wert verkaufen und seine Ersparnisse nach Mazedonien transferieren. Schon ist seine kleine Konditorei im Zentrum von Velesta ein beliebter Treffpunkt für jung und alt, schon beginnt das neue Geschäft zu florieren. Buranedin ist ein angesehener Bürger. Das Leben nimmt er mit Humor. „Man lernt doch nie aus“, scherzt der schon leicht angegraute Konditormeister, „jetzt lerne ich eben albanisch und mazedonisch.“

Risto, der wütende Satiriker

Im idyllischen Ferienort Ohrid wohnt Risto Poposki. Auf dem aus dem Ohridsee ragenden Felssporn lebt er in einer alten, großbürgerlichen Wohnung. Der angesehene mazedonische Schriftsteller gibt sich belesen, als Liebhaber von Satiren und Grotesken. Nur so habe man den „sozialistischen Despotismus“ überleben können. – Und heute? Die Geschichten aus Lubunista und Velesta findet der Intellektuelle jedenfalls überhaupt nicht komisch. Er wird fast wütend, als er sie zu hören bekommt: „Jeden, den sie nicht mögen, schieben sie zu uns ab. Da sind sich die slowenischen, kroatischen und serbischen Politiker einig: Albaner, Moslems und Roma, die gehören nach Mazedonien.“

Poposki erzählt, als sei die ruhmreiche Zeit seiner Urahnen gerade erst zu Ende gegangen. Schon im Jahre 893 sei in dieser Randlage die erste slawische Universität gegründet worden. Am Ohridsee entstand damals die altslawische Kirchensprache, die kyrillische Schrift und die ersten Meisterwerke altslawischer Literatur.

Warum gerade hier? Poposkis Überzeugung: Weil die Mazedonier ein offener, humanistischer und intelligenter Menschenschlag seien. Doch weshalb sehe man davon heute nichts mehr? Weil die Türken, diese islamischen Fanatiker, zusammen mit den Albanern alle Zeugnisse slawischer Kultur zerstört hätten. 360 Gotteshäuser und Kapellen aus der Zeit der Slawenapostel Kyrill und Method! Poposki kann sich nicht mehr halten: „Selbst die Kathedrale der Heiligen Sophia haben sie entweit, die Fresken zubetoniert und zur Moschee umgebaut. Oh, wie hasse ich Moscheen!“

Kreuze statt Minarette

Entweihung im November 1992: In Bitola, der zweitgrößten mazedonischen Stadt, erließ der Stadtrat einen Erlaß, demzufolge „mazedonienfremde Zeichen und Symbole“ aus dem Stadtbild zu verschwinden hätten. Was konnte da noch verboten werden in einer Stadt, in der die albanischen, moslemischen, türkischen und griechischen Minderheiten ihre Sprachen im Alltag nicht verwenden dürfen? Wo mehrsprachige Aufschriften verboten sind? Wo der Schulunterricht ausschließlich in mazedonischer Sprache abgehalten wird?

Stein des Anstoßes waren im Zentrum die beiden Moscheen aus dem 16. Jahrhundert. Die kupfernen Halbmonde an der Spitze der Minarette der Jeni- und Kadi-Djamia paßten nach Ansicht der Stadtväter nicht ins Stadtbild. So holte man sie per Kran herunter und setzte auf die Spitzen das christliche Kreuz. Schon diskutieren die Stadtväter, auch die Freitagsgebete zu verbieten und beide Moscheen zu schließen. Sie sollen Museumsstätten werden.

Getötet – aus „Versehen“

Tance Geskovski hat allen Grund, verbittert zu sein. Der Schock steht ihm noch ins Gesicht geschrieben. Am 6. November erschoß ein mazedonischer Polizist seine Frau. Von der Straße aus schwenkte er seine Maschinenpistole auf ihr kleines Wohnhaus. Über 30 Einschüsse an der Fassade sprechen für sich.

Aus Versehen habe sich ein Schuß gelöst, hieß es offiziell. „Mit Absicht“, erklärt der Mazedonier, der sich noch rechtzeitig auf den Boden werfen konnte: „Sie glaubten, wir seien Albaner, deshalb feuerten sie auf unser Haus.“

Die Geskovskis leben seit Jahrzehnten im „Bit-Bazar“, im Albaner- und Romaviertel der Hauptstadt Skopje. Sie hatten den Rat ihrer Nachbarn nicht befolgt, wie die meisten Mazedonier wegzuziehen. „Warum sollten wir auch“, erzählt Tance, „niemand hat gefragt, welcher Nation jemand angehöre, ob er Albaner, Türke oder wie wir Mazedonier ist.“ Das habe sich erst geändert, seitdem das Kriegsrad des ehemaligen Jugoslawien unaufhaltsam nach Süden rolle.

Denn ähnlich wie die Einwohner von Sarajevo über einen möglichen Krieg bis zum letzten Moment Witze rissen, so spaßte man bisher auch in Skopje über die Gefahr blutiger Auseinandersetzungen. Bis zum 6.November: Die Polizei verprügelte im Bazar einen 15jährigen Albaner, der angeblich geschmuggelte Zigaretten an den Mann bringen wollte. Es kam zum Tumult. Oder kam es zur gezielten Provokation? Schossen als erste fanatische Mazedonier? Oder waren es radikale Albaner? Man weiß es noch immer nicht.

Die Bilanz: Zwischen vier (offiziell) und acht Tote, dreißig Schwerverletzte, Hunderte Verwundete. Ein verwüstetes Viertel, geplünderte Geschäfte.

Die Menschen gehen sich nun aus dem Weg, fragen: Welcher Nation gehört der Nachbar an? Tances Freund, ein Albaner im Nachbarhaus, ist seitdem verschwunden. Er reiste illegal nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Am Telefon habe er sich mehrmals gemeldet. „Stell dir vor, Tance“, habe er gesagt, „in München weiß man gar nichts davon, daß es in Skopje diese blutigen Unruhen gab. Deshalb will man mich auch wieder abschieben.“ Komm dennoch nicht zurück, habe Tance seinem Freund geraten, „du weißt doch, der Krieg steht vor der Tür.“