„Rote Fahne über dem Pamir“

■ Heftige Kämpfe in Tadschikistan/ Über 40.000 sind in den letzten Tagen nach Afghanistan geflohen

Berlin (taz) — „Duschanbe“, schrieb vor wenigen Tagen der Korrespondent der iranischen Zeitung Kayhan, „gleicht einem zweiten Kabul. Die Stadt ist umzingelt und wird ununterbrochen beschossen.“ Die kommunistischen Anhänger des im Sommer gestürzten tadschikischen Präsidenten Rahman Narijew sind offenbar entschlossen, dem Kommunismus im tadschikischen Bergland erneut Geltung zu verschaffen. „Die rote Fahne muß wieder über dem Pamir wehen“, meinte Sangak Safarew, Chef der kommunistischen Kampfverbände.

Kommunistische Kader kehren zurück

So verwirrend wie die moslemischen Namen mit russischem Suffix sind auch die politischen Zusammenhänge am Pamir. Vor drei Wochen trat unter dem Druck der kommunistischen Angriffe die Regierung von Duschanbe, eine Koalition von Nationalisten, Islamisten und reuigen Komunisten zrück, um den „Weg für Verhandlungen“ freizugeben.

Eine Woche später, am 2. Dezember, wählte das tadschikische Parlament in einer Sondersitzung in der Stadt Schoschand, dem Geburtsort Nabijews und der Hochburg der Kommunisten, eine neue Regierung.

Die wichtigen Ministerien, die bis jetzt von antikommunistischen Politikern besetzt waren, gingen nun an die ehemaligen Kader der Kommunistischen Partei. An der Macht blieb nur der provisorische Staatschef Ahmad Schah Eskandarew, der sich als „demokratischer Patriot“ bezeichnet.

Mit der Umbesetzung des Kabinetts war die Hauptforderung der kommunistischen Rebellen erfüllt. Doch wenige Stunden nach der Plenarsitzung des obersten Sowjets brachen erneut landesweit die Kämpfe aus.

Vierzigtausend Tadschiken, darunter viele geschlagene Islamisten, sind in den letzten Tagen nach Afghanistan geflohen, wo ebenfalls ein blutiger Machtkampf herrscht. Und nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) sollen sich im Grenzgebiet zusätzlich rund 100.000 Menschen aufhalten, die sich auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg befinden. Das Internationale Rote Kreuz berichtete in Genf, es habe jetzt erste Hilfslieferungen in die tadschikische Hauptstadt gebracht.

Anfang dieser Woche starben 200 tadschikische Flüchtlinge im eiskalten Grenzfluß Amu Darja.

Die nationalistischen und islmaischen Parteien sind zwar nicht mehr in der Regierung, doch sie beherrschen faktisch die Hauptstadt. Unlängst hatten sie ein eigenes militärisches Organ mit dem Namen „Demokratische Armee des tadschikischen Volkes“ geschaffen. Diese hat außer in Duschanbe auch in der östlichen Provinz Badachschan und im Gebiet Kafar Nahan das Sagen.

Inzwischen hat der komissarische Staatspräsident Bekandarow die in Tadschikistan stationierten russischen Einheiten aufgefordert, die Kontrolle über die Hauptstadt zu übernehmen. Die Russen aber haben sich bisher damit begnügt, die Regierungsgebäude und andere wichtige Einrichtungen der Stadt zu schützen.

Doch ihre Sympathien gelten den Kommunisten, zu denen viele russische Bürger Tadschikistans gehören. Die meisten Waffen der kommunistischen Kämpfer stammen aus den russischen Garnisonen.

Moslemische Nachbarländer halten sich bedeckt

Auch die GUS-Staaten sind für die Rückkehr Nabijews an die Macht. Mit allerlei logistischer Hilfe unterstützt Usbekistan den kommunistischen Vormarsch. Hingegen halten sich die moslemischen Nachbarländer wie der Iran und Afghanistan bedeckt. Sie warten auf den Sieger. Die Staatsräson hat auch in den beiden islamischen Gottesstaaten Vorrang vor der moslemischen Solidarität. Ahmad Taheri