Noch schlimmer als Ende der 80er Jahre

■ Theo Steegmann, Krupp-Betriebsrat in Rheinhausen, zur aktuellen Stahlkrise

taz: Der zähe Kampf der Stahlarbeiter während der letzten Stahlkrise liegt kaum fünf Jahre zurück. Geht es jetzt wieder los?

Theo Steegmann: Ich glaube, daß die sich jetzt abzeichnende Krise schlimmere Ausmaße annehmen wird als 1987, als es um Hattingen und Rheinhausen ging. Jetzt sind Überkapazitäten von 25 Millionen Jahrestonnen in Europa im Gespräch. Wenn das zuträfe, stünde die Schließung von acht Hüttenwerken mit insgesamt rund 40.000 Stahlarbeitern in Europa an. Verschärft wird das Problem durch die Krise in der Automobilindustrie, die ihre Wachstumsgrenze offensichtlich erreicht hat.

Die Autoindustrie ist schon aus ökologischen Gründen zum Schrumpfen verdammt. Fordern Sie jetzt noch mehr Autos, nur um den Stahl loszuwerden?

Nein, ich will aber den unvermeidlichen Kapazitätsabbau nicht dem Markt allein überlassen, sondern durch gezielte Politik ein „solidarisches Schrumpfen“ ermöglichen. Es kann nicht so sein, daß man über Nacht durch die Schließung eines Werkes die ökonomische Basis einer ganzen Stadt oder Region zerstört. Die Autoindustrie und den Individualverkehr kann man nur schrittweise zurückführen.

Eine „solidarische Schrumpfungspolitik“ gestaltet sich ja schon auf nationaler Ebene mehr als schwierig. Europaweit fehlt es dafür doch auch bei den Gewerkschaften an jeglicher Konzeption.

Das Problem ist national nicht mehr lösbar. Wir brauchen so etwas wie einen euröpäischen Entwicklungsansatz, der europaweit abrupte wirtschaftliche Brüche vermeidet und statt dessen den Strukturwandel sozialverträglich und ökologisch sinnvoll steuert. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, daß Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreter Europa als ihr Problem begreifen. Um solche Entwicklungen auf den Weg zu bringen, bedürfte es eines „europäischen Ratschlags von unten“. Wenn wir die Schrumpfung allein dem Markt überlassen, droht die Verödung von ganzen Regionen – sowohl in der Stahl-, wie in der Automibilindustrie. Die gesellschaftlichen Verwüstungen, die dadurch in kurzer Zeit hervorgerufen werden, kann man in Ostdeutschland täglich begutachten. Wir wissen doch, wie Menschen durch Arbeitslosigkeit vor die Hunde gehen. Deshalb muß der Wandel gestaltet werden. Dazu gehört die Förderung von neuen Arbeitsplätzen und die Finanzierung von Umschulungen ebenso wie Frühverrentungen oder die zeitweise Subvention von alten Arbeitsplätzen.

Wenn Stahl aus Ostdeutschland oder aus den Osteuropa in den Westen kommt, schreien die großen Stahlkonzerne regelmäßig auf. Eine „solidarische Politik“ müßte doch gerade die eigenen Märkte für Produkte aus wesentlich ärmeren Ländern öffnen.

Der Stahl aus den osteuropäischen Ländern wird hoch subventioniert und wegen des enormen Devisenbedarfs dieser Länder zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen. Dagegen kann kein Unternehmen im Westen bestehen. Eine Tolerierung dieser Importe würde die Zustimmung zur Vernichtung ganzer Standorte bei uns bedeuten.

Mit solidarischer Schrumpfung hätte das nichts zu tun. Überkapazitäten gibt es auch in den osteuropäischen Länder. Westeuropa sollte aber auch dort bei der Kapazitätsanpassung und ökologischen Modernisierung der Werke versuchen, die dortigen Standorte zu erhalten und zukunftsfähig zu machen.

Interview: Walter Jakobs