Wettbewerb nur nach Plan

Die neue Stahlkrise trifft nicht nur Klöckner/ Das Vergleichsverfahren läßt aber noch Hoffnungen auf einen Erhalt des Bremer Werkes  ■ Von Donata Riedel

Berlin (taz) – Noch am Wochenende glaubten die 6.000 Beschäftigten der Bremer Klöcknerwerke, eine Kooperation mit dem holländischen Konkurrenten Hoogovens sei das Schlimmste, was ihnen passieren könnte. Daß ihr Stahlkonzern tatsächlich noch viel schlechter dasteht, erfuhren sie gestern: Die Klöckner-Werke AG, die Klöckner Stahl GmbH und die Klöckner Edelstahl GmbH stellten vor dem Duisburger Amtsgericht Vergleichsantrag. Statt der 3.000 Arbeitsplätze, welche die Kooperation gekostet hätte, wenn die Niederländer ihren Stahl als Ersatz für das Bremer Produkt zur Weiterverarbeitung in die Bremer Walzwerke geschafft hätten, kann jetzt keiner der Arbeitsplätze als sicher gelten.

Daß es Klöckner schlecht geht, ist kein Geheimnis. Im abgelaufenen Geschäftsjahr (bis 30.September 1992) machte der Stahlbereich 200 Millionen Mark Verluste bei einem Umsatz von 2,4 Milliarden Mark. Im vierten Quartal dieses Jahres hat das Verlust-Tempo wegen der Verschärfung der Stahlkrise noch zugenommen und soll derzeit bei täglich einer Million Mark liegen. Wegen der geringen Eigenkapitalausstattung (1990/91: 11 Prozent der Bilanzsumme) hat das Unternehmen diese Negativ- Ertragslage nicht lange durchhalten können. Und weil die Eigentümerin Viag-Bayernwerk Beteiligungsgesellschaft mbH (VBB), an der die Viag AG und die Bayernwerk AG beteiligt sind, die ständigen Verluste nicht auffangen will, ist Klöckner praktisch pleite.

Allerdings bleiben noch Hoffnungen für die Belegschaft, weil die Unternehmensleitung nicht Konkurs, sondern einen Fortsetzungsvergleich angemeldet hat mit dem Ziel einer Weiterführung der Unternehmen. Der Vorteil dabei ist, daß das Unternehmen weiterhin über sein Vermögen verfügen darf, auch wenn ein vom Gericht bestellter Vergleichsverwalter fortan die Geschäftsführung kontrolliert. Klöckner hat seinen Gläubigern, wie beim Fortführungsvergleich üblich, angeboten, 40 Prozent der Schulden zurückzuzahlen. Dem müßten dann so viele Gläubiger zustimmen, bis 75 Prozent der Schuldensumme zusammengekommen sind. Für die Gläubiger hat das Verfahren den Vorteil, daß ihnen so wenigstens 40 Prozent ihres Geldes sicher sind. Und häufig wird verabredet, daß bei verbesserter Ertragslage das Unternehmen über diese Vergleichsquote hinaus seine Schulden wieder bedient.

Die Ertragslage allerdings dürfte angesichts der Stahlkrise schwierig bleiben. Alle Produzenten in der EG schreiben rote Zahlen. Rund 50.000 Arbeitsplätze, davon die Hälfte in Westdeutschland, oder 25 Millionen Jahrestonnen Überkapazität müssen abgebaut werden. Jetzt rächt es sich, daß die Branche ihre in den frühen 80er Jahren EG-weit koordinierte Abwrackaktion für Hochöfen und Walzwerke nach Einsetzen des unerwarteten Booms Mitte der 80er Jahre wieder abgebrochen hat.

Solange bei guter Konjunkturlage Gewinne zu erwirtschaften waren, beschworen auch die Stahlbarone die Marktwirtschaft und sogar den Wettbewerb untereinander. Jetzt – nachdem auch Rupert Vondran, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl lieber von „Krise“ als von „Schwierigkeiten“ redet – sollen die SteuerzahlerInnen einspringen. Die EG-Kommission, die nach dem Montanunionvertrag schon einmal in den Jahren 1980 bis 1985 jedem Werk seine Produktionskapazität zuteilte, weigert sich zwar noch, das Euro-Stahlkartell wiederzubeleben und nach Artikel 58 die „offensichtliche Krise“ zu proklamieren. Das „Aktionsprogramm“ der Brüsseler Kommissare vom 24.November erfüllt jedoch inhaltlich alle Kriterien eines Kartells: Die „Unternehmen der Stahlindustrie“ sollen „ein koordiniertes Vorgehen an den Tag legen“. Wettbewerb soll es zwar geben, aber nur „unter Wahrung von Ausgewogenheit“. 900 Millionen Ecu (1,8 Mrd. DM) will die EG-Kommission für Stillegungen und Sozialpläne bereitgestellt sehen – davon die eine Hälfte aus EG-Mitteln, die andere aus nationalen Staatshaushalten.

Ganz offenbar gelingt es den europäischen Stahlkochern nicht, gegenüber der Konkurrenz aus Fernost und neuerdings auch Osteuropa eine stabile Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt zu erreichen. Dabei haben allein die westdeutschen Unternehmen seit 1975 die Hälfte von damals 340.000 Arbeitsplätzen und ein Viertel der Produktionskapazitäten abgebaut. Nach einer Studie des DGB stieg die Produktivität zwischen 1982 und 1988 um 51 Prozent. Der Anteil der Lohnsumme am Geschäft schrumpfte von 21,8 auf 18,3 Prozent. Seit 1990 jedoch brachen die Preise für die hierzulande vor allem produzierten hochwertigen Flachstahlprodukte um 50 Prozent ein, der Stahlverbrauch in der EG sank konjunkturbedingt um zehn Prozent. Und außerhalb der EG erschwert die teure Mark das deutsche Exportgeschäft.