piwik no script img

„Helfende Hände“ halten die Hand auf

Vier Milliarden Mark, das meiste davon in der Vorweihnachtszeit, sammeln Spendenorganisationen jährlich in Deutschland. Ein Markt, auf dem sich auch schwarze Schafe sammeln.  ■ Ein Bericht von Michaela Schießl

Jedes Jahr, wenn sich der Geruch von Spekulatiuskeksen mit dem Tannenduft des Adventskranzes vermischt und die Weihnachtsgans bereits in der Tiefkühltruhe friert, setzte der Reflex ein: Das unbedingte Bedürfnis, Gutes tun zu müssen für die weniger begünstigten Menschen in der Welt. Hilfsorganisationen jeglicher Couleur nutzen diesen besonders unter Deutschen stark verbreiteten Gemütszustand, um Spenden zu sammeln. Annähernd vier Milliarden Mark verlassen pro Jahr die Spendierhosen der Deutschen. Und landen nicht selten in den Taschen undurchsichtiger Organisationen. Allein in der täglichen Bittstellerpost, die zur Weihnachtszeit die Briefkästen überquellen läßt, finden sich neben zahlreichen seriösen Aufrufen immer wieder abenteuerliche Hilfeschreie.

„Endlich!“, brüllen die „Helfenden Hände“ den von ihr Angeschriebenen an (siehe auch Foto unten) und teilen mit: „Das selbstmörderische Abschlachten in Äthiopien ist vorüber. [...] Natürlich leiden die Unschuldigen wie immer am meisten“ weiß das Internationale Hilfswerk e.V. mit Sitz in Celle und unterstreicht diesen Fakt in ihrer schrill-pathetisch aufgemachten Broschüre mit mitleidheischenden Bildern verhungernder Kinder in Äthiopien. „Reichen Sie Ihre helfenden Hände“, wird der Adressat aufgefordert; und viel ist es ja nicht, was er Spenden soll. Zunächst nämlich fehlen nur 8.000 Mark, um in Kanada gelagertes Saatgut und Kleidung nach Äthiopien verschiffen zu können.

Um potentiell helfende Hände in aktiv Geld spendende zu verwandeln, lockt das Hilfswerk mit einer kleinen Vorab-Schenkung, die einschließlich Mailing sicher mehr als 8.000 Mark kostet: Jedem Bittschreiben sind kleine Briefaufkleber mit Namen und Adresse des Angeschriebenen beigefügt – als „kleines, aber um so herzlicheres Dankeschön für Ihre Anteilnahme.“ Dies schreibt uns Herr C.V. Doner auf einem quadratischen Serienbrief, einem in den USA üblichen Format. So verwundert es kaum, daß man tatsächlich in Santa Rosa, Californien, anrufen muß, um Herrn Doner zu sprechen. Er nämlich ist erster Vorsitzender der „Helfenden Hände“. Seine Stellvertreterin ist seine Frau.

In Celle nahe Lüneburg agiert Angela Schulz, ebenfalls im Vorstand des Hilfswerks. Sie sagt, daß der im März 1989 gegründete, eingetragene Verein vollkommen autonom arbeitet und die Gelder für Entwicklungsprojekte in Afrika direkt und ohne Zwischenstation an die betreffenden Projekte abführt. Warum uns dann Herr Doner schreibt und nicht sie? „Herr Doner ist Mitbegründer und erster Vorsitzender.“ Außerdem hat Colonel Vaughan Doner in den USA eine eigene Hilfsorganisation, mit denen „Helfende Hände“, so sagt Frau Schulz, „wegen deren Verbindungen zu Entwicklungsprojekten kooperiert“. „So eine Schwesterorganisation macht die Arbeit leichter“, gibt sie zu, besteht jedoch auf der Autonomie ihres Hilfswerks. Was juristisch gesehen auch stimmt. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Lüneburg auch nicht gegen die US-Organisation von Herrn Doner, sondern gegen die „Helfenden Hände“ von Frau Schulz in Celle ermittelt. Gemeinsam mit Interpol fragte die Staatsanwaltschaft 1990 bei einem Kinderheim in Kenia an, ob es die Hilfe der „Helfenden Hände“ erhalten hätte. Sie erhielten bis heute keine Antwort. Dennoch wurde die Akte Nummer 1463-0-43 AR 41/89 ohne Ergebnis geschlossen – zu aufwendig und zu teuer wären die Ermittlung gegen die vom Finanzvolumen her verhältnismäßig kleine Organisation. Dennoch vermerkt Oberstaatsanwältin Kindervater in obiger Akte: „Obwohl vieles darauf hindeutet, daß hier betrügerisch Spenden erlangt werden, scheinen Nachforschungen nach Verbleib des eingezahlten Geldes aussichtslos.“ – Frau Schulz ist empört ob der Unterstellung. Keine Unregelmäßigkeit konnte bewiesen werden, sie erhalte regelmäßig Bescheid vom Kinderheim und könne dies auch beweisen. Getan hat sie das bislang nicht. Jahrelang bat das Deutsche Zentralinstitut (DZI) für soziale Fragen in Berlin, eine Art Clearing- und Kontrollstelle für human-karitative Hilfsorganisationen (siehe nebenstehenden Text), Frau Schulz um Informationen – ohne Reaktion. Im Spätjahr 1992 erhielt der „Spenden-TÜV“ endlich ein Lebenszeichen, das jedoch wenig befriedigend ausfiel. DZI-Sprecher Lutz Worch: „Der vorgelegte Wirtschaftsbericht war absolut nichtssagend. Statt seriös aufgeschlüsselten Posten stand dort lediglich: „Ausgaben für satzungsgemäße Aufgaben.“ Wo die Gelder landen, weiß niemand.

Die Möglichkeiten, betrügerische Machenschaften aufzudecken, sind begrenzt. „Das Finanzamt hat keinerlei Handhabe, wenn die Gelder ins Ausland gehen“, schildert Worch ein generelles Problem der Spendenkontrolle. Nur die Spendenbescheinigungen können ein Anhaltspunkt sein. Die nämlich darf nicht jeder Verein allein erstellen, sondern das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Für Lutz Worch ein besonderes Ärgernis: „Das macht die Organisation in den Augen der Spender doch erst recht seriös.“

Ein Beispiel, wie langwierig sich Untersuchungen gegen Spendensammler gestalten können, bietet das „Kinderhilfswerk für Afrika.“ Seit 1985 wird von der Staatsanwaltschaft gegen das in Hamburg ansässige Werk ermittelt. Dem Chef Hans-Dieter Mehl wird vorgeworfen, daß vom Tür-zu-Tür- Verkauf überteuerter Postkarten (12 Stück zu 19,80 DM) statt der versprochenen 4,80 nur eine Mark für die satzungsgemäße Verwendung an notleidenden Kinder abgeführt wird. Das Verfahren läuft. Und läuft.

Auf Kriegsfuß steht das DZI auch mit dem internationalen christlichen Hilfswerk „World Vision“, Hauptsitz USA. Der Vorwurf: Zu viel Geld bleibe in der Verwaltung stecken. Oft müssen drei bis vier Verwaltungsstellen durchlaufen werden, bevor das restliche Geld ankommt. „World Vision“ Deutschland sagt, daß die Hilfe direkt zukommt. „Das findet sich im Wirtschaftsberich nicht wieder“, widerspricht Worch.

Für Lutz Worch und das DZI bedeutet Weihnachten Hochsaison. Allein am Mittwoch erhielt das Institut 540 private Anfragen, die meisten aus der Ex-DDR. Tatsächlich sind die fünf neuen Länder satte Jagdgründe für Spendeneintreiber. Drückerkolonnen durchgrasen Stadt und Land. Besonders alte, einsame Leute unterschreiben gern, wenn sich der nette Besuch nur ein bißchen mit ihnen unterhält. Das Kleingeschriebene bleibt ungelesen – bis zum Blick auf das Konto. „Die lassen Omas, die von wenigen hundert Mark Rente leben, für zwei Jahre unterschreiben, und buchen dann binnen sechs Wochen zwei Jahresbeträge vom Konto ab“, berichtet Worch. Dringend rät er davon ab, an der Haustüre Verpflichtungen zu unterschreiben. Ist es doch passiert, soll die Bank angewiesen werden, das Geld nicht auszuzahlen. Dann müßten die Organisationen klagen – was erfahrungsgemäß nicht passiert. Wer Zweifel hat an der Seriösität eines Hilfswerkes, kann das DZI schriftlich um Auskunft bitten. Der frankierte Rückumschlag garantiert Gewißheit – und rettet vielleicht den Weihnachtsfrieden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen