Zarteste Versuchung

■ Wohltätig wie Maggie Thatcher: Nachwuchs-Chansonnier Tim Fischer konzertierte im Schauspielhaus

konzertierte im Schauspielhaus

Ganz verlegen und nur 19 Jahre alt betrat Tim Fischer am späten Freitagabend die Bühne des nahezu ausverkauften Schauspielhauses. Die Premiere seiner zweiten Offerte „Wozu sind Worte, die man nicht sagt“ lockte, und sein „Zarah ohne Kleid“-Programm hatten die Zuschauer noch in bester Erinnerung. Beifallsorkane tosten dem Nachwuchs-Chansonnier entgegen, jeder schien ihn am liebsten gleich - hübsch verpackt oder wie Gott den Göttlichen schuf? - mit nach Hause nehmen zu wollen. Nur das rasche Anstimmen des ersten Songs verhinderte ein Ausbrechen der Gefühle, und erinnerte die Menge daran, daß sie Karten für einen Konzertabend gelöst hatte.

Und bevor er noch irgendwelchen Quatsch erzähle, singe er noch ein Stück, verkündete Tim Fischer auf seine ach so charmante, unschuldige Art. Von der großen Liebe trällerte Everybody's Mega- Darling, von Wodka und der Einsamkeit, stimmte Texte von Rainer Werner Fassbinder an und tuckte, was das Zeug hielt. Dazu ein paar altkluge Sprüche („Mit der Wahrheit ist das so eine Sache, jeder hat so seine“), ein paar irgendwie pointenlose Anekdoten aus seinem jungen Leben und schon meinte der Newcomer, Greta Garbo und Zarah Leander gleichzeitig wieder auferstehen zu lassen.

Rote Lippen, dunkles Haar, seidene Schlabber-Hose und weißer Frack - so stand die zarteste Versuchung, seit es Schwuchteln gibt, zwischen seinen drei Musikern, die ihn mit Bass, Gitarre und Klavier souverain begleiteten. Ein mit weißen Pelzen geschmücktes Sesselchen, ein Tischlein und ein Väslein als Dekoration verbreiteten intime Atmosphäre. Eine Flasche Bier in der Hand und Zigarette im Mund - war es gar ein Joint? - verrucht kann Tim Fischer auch sein. „Wir lieben dich, mit allem, was du machst“, hauchte ein Zuschauer ins Mikro, das der Sänger ins Publikum gereicht hatte.

Doch, was macht Tim Fischer eigentlich, außer putzig und niedlich zu sein und zwischendurch ein paar Chansons zu singen? Eigentlich gar nichts. Mehr schien das Publikum aber auch nicht zu erwarten. Tim Fischer ist der hochstilisierte Star einer Szene und unterscheidet sich von seinen Verehrern nur dadurch, daß er macht, was sie gerne täten. Für diesen Zweck reicht es vielleicht - als ernsthafter Chansonnier ist Tim Fischer allerdings so überzeugend, wie es Margaret Thatcher als Sozialarbeiterin wäre. Gregor Gerlach