Zwischen Käsetheke und Kanzel

■ Gesichter der Großstadt: Isolde Böhm ist eine von zwei Frauenbeauftragten der Evangelischen Kirche / Die studierte Theologin kennt die Arbeitswelt von innen

Mitte. Ihr Arbeitsplatz befindet sich am Spittelmarkt in einem der etwas ansehnlicheren Plattenbauten, deren nackter Beton mit Kieselsteinen besetzt ist. Auf dem runden Tisch im Büro steht ein Adventsgesteck, die Mäntel werden ordentlich in den Garderobenschrank gehängt. Die 40jährige Westberlinerin Isolde Böhm, seit Anfang November zusammen mit ihrer Ostkollegin Heidrun Elliger Frauenbeauftragte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, hätte schon nach dem Mauerfall gerne in Ostberlin gearbeitet. „Aber von den 60 Prozent Westverkäuferinnengehalt, die Kaisers damals im Osten gezahlt hat, hätte ich nicht leben können.“

Wie kommt eine Supermarktverkäuferin dazu, Frauenbeauftragte bei der Kirche zu werden? Eigentlich hat Isolde Böhm Theologie studiert und nach dem Vikariat sogar noch das zweite Examen gemacht. Nach dem normalen Gang der Dinge wäre sie dann Pfarrerin geworden. Aber mittlerweile waren ihr Zweifel am Sinn einer Beamtenexistenz in dieser Kirche gekommen, die „immer nur Ratschläge gibt“.

Ihre Konsequenz war radikal und machte den Kirchenoberen damals ziemlich zu schaffen. Sie entschloß sich, in einen „manuellen Arbeitsbereich“ zu gehen. Verkäuferin wollte sie werden, „weil das ein Beruf ist, der viel mit Frauen zu tun hat“. Schlechter bezahlt als die Arbeiter in den Fabriken, „weil das ja Männerdomäne ist“, arbeitete sie mit Alleinerziehenden und spät Geschiedenen zusammen, die in vielen Fällen keine Ausbildung hatten und sich deshalb mit der Unterbezahlung abfinden mußten. „Von den Frauen hab ich mich nicht so sehr durch das Studium unterschieden, sondern eher, weil ich keinen Fernseher habe und auf Demos gehe“, erklärt sie.

Zwölf Jahre lang hat Frau Böhm alltags als Verkäuferin hinter der Käsetheke gestanden und sonntags von der Kanzel gepredigt, nebenberuflich und unbezahlt. Paradoxerweise hatte die Kirchenleitung gerade damit Probleme, daß sie kein Gehalt für ihre Arbeit bezog, weil sie dadurch in keinem arbeitsrechtlichen Verhältnis mit der Kirche stand. „Damals habe ich sie gefragt: Könnt ihr euch eigentlich nichts schenken lassen?“ Anstrengend war die Gratwanderung zwischen Kirche und Supermarkt wohl in jedem Fall. Konnten einerseits ihre Kolleginnen bei Kaisers mit der Kirche nichts anfangen, so gab es andererseits innerhalb der Kirche nie ein wirkliches Interesse, ihre Erfahrungen abzurufen. „Am ehesten noch in meiner Weddinger Gemeinde“, fügt sie hinzu.

Auch wenn Frau Böhm seit dem 1. November ihre Bezüge wieder von der Kirche erhält, ist sie nicht als Pfarrerin angestellt, sondern als wissenschaftliche Mitarbeiterin. In ihrer Position als Frauenbeauftragte möchte sie Sprachrohr für die Frauen an der Basis sein. „Der Druck muß von allen Frauen zusammen ausgehen, das Sprechen kann ich dann besorgen.“ Eines ihrer Anliegen ist, sich für „Gerechtigkeit und Leben in den Kirchenstrukturen“ einzusetzen. Konkrete Vorstellungen dazu hat sie noch nicht, aber wie schwer es ist, für politische Gerechtigkeit zu kämpfen, hat sie als Verkäuferin am eigenen Leib erfahren. Der vielzitierte Satz „Liebe deinen Nächsten“ dürfe eben nicht so verstanden werden, daß sie für ihre überlastete Kollegin die Pause durchmacht, sondern im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen müsse dann die Kollegin notfalls auch vor den Kopf gestoßen werden, erklärt sie. Inwieweit sie diese Ideen in der Kirche durchsetzen kann, ohne „von der Verwaltung lahmgelegt“ zu werden, wird sich noch zeigen. Schon jetzt vermißt sie die „Direktheit“, mit der die Kolleginnen im Supermarkt miteinander umgingen. „Vieles habe ich bei der Arbeit erfahren: Widerstand, Klage, Solidarität, wo sich viele bei der Kirche etwas von abschneiden könnten.“ Für fünf Jahre wird sie zunächst als Frauenbeauftragte arbeiten, was danach sein wird, weiß sie noch nicht. „Ob ich dauerhaft in den Schoß der Kirche komme, wird sich erweisen.“ Anne-Kathrin Koppetsch