„Mit LKW gibt es den totalen Verkehrsinfarkt“

■ Wird durch die „Mega-Baustelle“ im Regierungsviertel und am Potsdamer Platz die Innenstadt lahmgelegt? Interview mit Bau-Staatssekretär Frank Bielka (SPD)

Berlin. Im Zusammenhang mit den Bauarbeiten am Regierungsviertel und Potsdamer Platz wird mit gigantischen Zahlen gehandelt. Würden Baumaterial und -schutt nur mit Lastwagen transportiert, müßten täglich bis zu 5.000 Kipper hin- und herfahren – eine kaum vorstellbare Zahl. Auf der Stadtautobahn fahren täglich 2.000 LKW, auf der Frankfurter Allee 3.000 LKW. Die taz sprach mit dem Staatssekretär der Bauverwaltung, Frank Bielka (SPD), der maßgeblich an den Planungen beteiligt ist, wie Berlin das zu erwartende Verkehrschaos verhindern will. Zum Jahreswechsel 1993/94 soll mit den Bauarbeiten begonnen werden.

taz: Herr Bielka, die geplante „Mega-Baustelle“ mitten in der Stadt stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Treiben Ihnen die anstehenden Probleme die Schweißperlen auf die Stirn?

Frank Bielka: Es werden an vielen Stellen Berlins sehr große Aufgaben bewältigt, insofern hat sich der Pegel, ab dem Schweiß auf die Stirn getrieben wird, verändert. Andererseits ist die Aufgabe, die Zu- und Abfuhr von Baustoffen im innerstädtischen Bereich zu organisieren, eine sehr starke Herausforderung für alle Beteiligten. Würde der Transport durch LKW geleistet werden müssen, würden wir den totalen Verkehrsinfarkt in der Innenstadt produzieren.

Mit Hilfe zweier Gutachten haben Sie abschätzen lassen, wieviel Baumassen bewegt werden müssen. Wissen Sie schon, wieviel davon auf dem Wasser, der Schiene und der Straße transportiert werden wird?

Das Volumen von insgesamt 30 Millionen Tonnen muß per Schiff und Bahn transportiert werden. Und das so nah wie möglich an die Baustelle heran. Die genaue Aufteilung muß aber noch im Detail geprüft werden.

Können Sie ausschließen, daß es aufgrund von Engpässen beim Transport zu zeitlichen Verzögerungen bei den Bauarbeiten des Regierungsviertels und Potsdamer Platzes kommen wird?

Zeitliche Verzögerungen wird es aufgrund der Logistik nicht geben. Die Mengen können von Schiff und Bahn hin- und weggebracht werden. Die Bahn müßte das System Schiene optimieren – und das hält das Unternehmen für machbar.

Keiner weiß, wieviel Wasser die Spree in fünf Jahren führen wird. Der Wasserstand hängt unmittelbar vom Braunkohlebergbau in der Lausitz ab, der eingestellt werden soll. Möglicherweise können dann Schiffe nur halb so voll geladen werden wie heute. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Deshalb frage ich Sie noch einmal: Können Sie heute bereits alle Schwierigkeiten berücksichtigen und ausschließen, daß es zu Verzögerungen kommt?

Inwieweit nun die Spree durch ihren Wasserstand Einfluß nimmt, kann ich nicht sagen. Bei Engpässen können aber die Lasten zwischen Schiff und Bahn anders verteilt werden.

Angenommen es wird so reibungslos funktionieren, wie Sie hoffen, was bedeutet das für den Bereich um den Tiergarten und Potsdamer Platz? Wird das Zentrum für den Autoverkehr gesperrt?

Die Verkehrsverwaltung entwickelt Konzepte. Ich gehe davon aus, daß zumindest durch den An- und Abtransport der Individualverkehr nicht eingeschränkt werden muß. Schiffe und Güterzüge werden im zentralen Bereich zwei Logistikzentren anfahren, von denen die Baustellen versorgt werden. Im Süden ist das das Gleisdreieck und im Norden der Lehrter Bahnhof, respektive der Humboldthafen. Dort soll Material wie beispielsweise Beton weiterverarbeitet werden und eine Anlieferung über eigene Zubringerwege erfolgen, die die heute vorhandenen Straßen nicht kreuzen werden.

Kreuzungsfrei vom Gleisdreieck zum Potsdamer Platz?

Wir planen eine Brücke über den Landwehrkanal, die das Gleisdreick mit der Baustelle verbindet. Diese Brücke wird nicht nur den Kanal, sondern auch die Kanaluferstraßen überspannen. Im Norden ist eine ähnliche Lösung denkbar.

Nun werden Potsdamer Platz und das Regierungsviertel nicht die einzigen Baustellen bleiben. Da gibt es noch den Pariser Platz, die Friedrichstadtpassagen, das American Business Center am ehemaligen Checkpoint Charlie. Olympia soll kommen, das Straßenbahnnetz um 45 Kilometer verlängert werden, Straßenringe und die Stadtautobahn vervollständigt werden – um nur eine Auswahl zu nennen. Haben wir morgen in der U-Bahn das Gedränge von Tokio und auf der Straße den Stau von Mexico-City?

Wir werden eine erhebliche Bewegung in der Stadt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die halbe Innenstadt umgegraben wird, und keiner merkt es. Sie sehen das in der Friedrichstraße ja schon jetzt.

Das Interview führte Dirk Wildt