Monostruktur als größtes Planungshindernis

Serie: Der Verkehr und die Zerstörung der Stadt (sechste Folge)/ Der Potsdamer Platz – Abrißarchitektur auf Vorrat und imaginäres Zentrum einer verkehrspolitischen Katastrophe  ■ Von Hans-Joachim Rieseberg

Wenn man heute noch über den Potsdamer Platz schreibt, so hat das mit Sicherheit keinerlei Bedeutung für das, was dort künftig gemacht und geplant wird. Fast alle Artikel über den Potsdamer Platz schwelgen zunächst in der Nostalgie und in der Wiederbelebung des ehemaligen Zentrums: der verkehrsreichste Platz Europas der Vorkriegszeit, der Begriff für Urbanität, der Zenit der Moderne, Erlebnisqualität, Großstadtdschungel, kurz: das pralle Leben. Wenn man sich die Bilder des Potsdamer Platzes anschaut – und uns Nachgeborenen bleibt ja nichts anderes –, so ist das Ganze eher ernüchternd, etwas zusammengestoppelt, hier etwas und da etwas, ein paar Säulen, einige klassizistische Architekturelemente, keines der Geschäfte würde heute länger als vier Wochen überleben, das Pschorr-Haus wäre längst abgerissen worden, kurz: hinter den Vorstellungen des Potsdamer Platzes steckt wirklich eine riesige Portion von Nostalgie, die wahrscheinlich so gar nicht am Platze ist. Was wahrscheinlich das Bestechende war, war seine Heterogenität, seine Zufälligkeit, seine Nichtplanung.

Ein krankhafter Kompromiß

Nostalgiker wollen nun im Grunde eine Kopie des alten Potsdamer Platzes, andere wollen einen völlig neuen Potsdamer Platz und damit endlich der Hochhausbebauung in Berlin das Tor öffnen. Herauskommen wird wahrscheinlich ein krankhafter Kompromiß. Verkehrsplanerisch soll nun am Potsdamer Platz alles gelöst werden, was bisher nicht zu lösen war und was auch nicht zu lösen ist. Es soll einer der größten Knotenpunkte für den öffentlichen Nahverkehr werden und damit eine Hauptattraktion für ein künftiges Einkaufs- und Erlebniszentrum, es soll gleichzeitig verkehrspolitisch beruhigt werden, für den Lieferverkehr erreichbar sein, das Gralsgebäude für den größten Automobilkonzern Europas sein und den Japanern den endgültigen Schritt nach Europa ermöglichen.

Letztlich wird am Potsdamer Platz keiner wohnen, denn kein Mensch kann die Wohnungen, die dort entstehen werden, bezahlen, auch für die Reichsten der Reichen werden sie letztlich nur Abstellplätze für den berühmten Koffer in Berlin sein, Übergangswohnräume, die sie auf ihren Pendelbewegungen zwischen London, New York und Tokio benutzen. Der Begriff des Wohnens, also des dauerhaften Verweilens, kann an dieser Stelle schon aus spekulativen Gründen nicht mehr angewendet werden. So gesehen ist die Betrachtungsweise der Erneuerung des verkehrsreichsten Platzes richtig, weil der Platz selbst in seiner neuen Identität vielleicht das größte Besprechungszentrum Europas sein wird, ein einziger Ort von unzähligen Besprechungen am jeweiligen Tag.

Klötzchenarchitektur als Dutzendware

Für die automobile Erreichbarkeit sollen eine unterirdische Passage sowie ein Tunnel als Einfahrt für Parkhäuser angelegt werden, der mit seinen Zu- und Abfahrten im Tunnel dem Prinzip des zügigen Durchfahrens total widerspricht. Die vernünftigste Idee wäre noch die, den Tunnel in der Mitte zweizuteilen, also wirklich nur als Ein- und Ausfahrt von Ost und West zu benutzen. Dann aber ist die Funktion des Tunnels, nämlich die Sicherung des Durchgangsverkehrs, nicht mehr gegeben. Und die Verknüpfung des Tunnels am Potsdamer Platz mit dem Tunnel unter dem Tiergarten muß unweigerlich ein unentwirrbares Verkehrsknäuel auf den Straßen Potsdamer Straße, Schöneberger- und Reichpietschufer, Anhalter Straße, Straße des 17. Juni, Ebertstraße, Friedrichstraße und so weiter hervorrufen.

Hinzukommt, daß das Schicksal der Bauten am Potsdamer Platz vorprogrammiert ist. Hier wird im Grunde keine ereignishafte Architektur zur Inszenierung eines Platzes geschaffen, hier werden keine Passagen des 19. Jahrhunderts neu konzipiert, sondern hier schinden Stararchitekten aufgrund der enormen Grundstücksspekulationen Quadratmeter und klatschen außen eine relativ billige Fassade dran: Klötzchenarchitektur in Form von deformierten Dampfkochtöpfen, die zu jener Dutzendware gehören, die allerorten permanent auf- und abgebaut werden.

Aber auch das nützt nichts, weil diese Bauten trotzdem zu teuer sind. Es sind vorprogrammierte Pleiten wie allerorten – beispielsweise stehen heute schon wieder nach wenigen Jahren der Nutzung das Ku'dammeck, das Ku'dammkarree, das Aschingerhaus und viele andere zum Abriß bereit.

Attraktiv nur im Vorbeifahren

Hier kommt kein einziger Platz heraus, der an die Plätze der Renaissance-Architektur erinnert, die wirklich keinen Automobilverkehr brauchen, sondern hier werden Plätze geschaffen, die nur im schnellen Vorbeifahren erträglich sind. Unsere Stadt- und Verkehrsplaner haben nicht die Schere im Kopf, sondern die Schnelligkeit des Automobils. Die Planer des 19.Jahrhunderts dachten nun einmal in der Beschaulichkeit der Postkutsche, und entsprechend detailliert waren die Außen- und Innenräume, und diese wirkten auf die Plätze. Und das schuf auch Urbanität, ob man es wahrhaben will oder nicht und ob man den, der das beschreibt, zum Nostalgiker machen will. Und daß man selber so denkt, zeigt ja das zähe, verbissene Kämpfen um den Wiederaufbau des Schlosses. Es geht hier nicht um die Idee des Baues, sondern es geht um seine Form, um seine äußere Erscheinung und die Rückgewinnung eines Anhaltens.

Der Potsdamer Platz war ein Konglomerat und eine wahrscheinlich nicht wiederholbare Schöpfung des 19. Jahrhunderts, in die das Auto nur in wenigen Exemplaren integriert wurde, in der Hauptsache in Form von Taxis und Karossen der Reichen. Er lebte im übrigen nicht aus dem Zentrum wie viele italienische Plätze, sondern aus den Rändern, und er war im Sinne der heutigen Verkehrsplanung eigentlich kein Verkehrsknotenpunkt.

Die Verkehrsplanungsideen auch der zwanziger Jahre gingen vom öffentlichen Nahverkehr aus. Die jetzigen Planungen sind Absichtserklärungen: Reduzierung des Anteils des individuellen Verkehrs auf zwanzig Prozent. Kein Mensch kann erkennen, wie das erreicht werden soll, jedenfalls wird man es nicht mit einer Angebotsstruktur, sondern nur mit einer rigiden Regelungsstruktur erreichen. Man wird vor allem verhindern müssen, daß die umliegenden Viertel im Sog des Potsdamer Platzes nicht zu großräumigen Parkplatzanlagen verkommen, weil es keine vernünftige Gesamtplanung um dem Potsdamer Platz, die Friedrichstraße und das Brandenburger Tor gibt.

Spekulative Nutzung

Es handelt sich bei all diesen Dingen um ein zusammenhängendes Grundproblem einer vernünftigen zukunftsorientierten Stadtplanung. Diese liegt nicht vor. Die Nutzung des Platzes geschieht in spekulativer Form, die von wenigen Großfirmen bestimmt wird und damit empfindlichen Störungen unterliegt. Eingeweihte wetten jetzt schon, daß Sony nur noch den günstigen Absprung von seiner Investition am Potsdamer Platz sucht und daß der nächste Konjunktureinbruch von Daimler-Benz dazu führt, daß dieser sich ebenfalls zurückzieht. Die beiden hinterlassen ein Planungsvakuum, weil die Grundstücke dann nicht mehr verfügbar sind, sondern dem spekulativen Weiterverkauf unterliegen. Die Monostruktur, die hier geschaffen worden ist, erweist sich schon jetzt als größtes Hindernis einer vernünftigen Stadtplanung.

Und entgegen allen Bekenntnissen, die inzwischen an allen Stellen abgelegt werden, wird hier ein verkehrsplanerischer Wahnsinn produziert, denn eine der Lehren der Vergangenheit heißt: Verknüpfung von Wohnfunktion, Versorgungsfunktion und Arbeit.

Menschliche Dimensionen tun not

Am Potsdamer Platz wird dies in extremster Weise auseinanderfallen. Die dort arbeiten, wohnen weit in den Villenvororten, die unteren Angestellten in den Wohnburgen im Norden und Osten, und das Käuferpublikum ist auch anspruchsvoll genug, mit dem eigenen Automobil heranzufahren. Genau das, was erreicht werden soll, wird nicht erreicht, nämlich die Senkung des motorisierten Individualverkehrs auf 20 Prozent, was ich im übrigen noch für viel zu hoch halte. Der Potsdamer Platz wird sich würdig einreihen in die Berliner Fehlplanungen der Nachkriegszeit: Ernst-Reuter-Platz, Alexanderplatz, Mehringplatz, um nur einige Höhepunkte zu nennen. Diese Plätze sind entweder wegen ihres Automobilverkehrs Horrorangelegenheiten oder absolut tote Hosen wie der Mehringplatz. Der einzige Platz, der seinen Charakter erhalten hat, ist der Gendarmenmarkt. Er wird dann auch gleich überschwenglich als der schönste Platz Berlins gefeiert.

Was aber macht denn dann eigentlich einen Platz aus? Er muß eine großzügige Raumanlage mit einer kleinteiligen Bebauung vereinen, er muß menschliche Dimensionen haben und gleichzeitig nicht kleinkariert wirken, er muß Ruhe und Betriebsamkeit miteinander verbinden, aber er darf nicht zugunsten einer Verkehrsart genutzt werden. Der Potsdamer Platz aber wird eine monostrukturelle Inszenierung von einigen wenigen Großkonzernen sein, die einer baldigen Pleite entgegengehen. Schade, aber typisch berlinisch!

Diplom-Ingenieur Hans-Joachim Rieseberg ist Architekt, Stadt- und Verkehrsplaner im „Büro für ökologische Planung und Architektur“ und Autor mehrerer Bücher über unsere zerstörerische Lebensweise; kürzlich erschien „Arbeit bis zum Untergang“.

Die nächste Folge erscheint am Montag kommender Woche.