„Der Bundestag legitimiert die Brandstifter“

■ ExpertInnen kritisieren geplanten Artikel 16a/ Bürger sollen sich jetzt wehren

Charlottenburg. Eine weitere Eskalationsstufe des Rassismus in Deutschland wird erreicht, sobald der Bundestag den sogenannten Asylkompromiß beschließt. Die Parlamentarier „legitimieren damit im nachhinein die Brandstifter“, warnte der Pädagogik-Professor Hellmuth Essinger am Wochenende vor der Änderung des Asylrechts, die im Januar im Bundestag vollzogen werden soll. Essinger sprach vor rund 250 ZuhörerInnen in der TU auf Einladung des „Berliner Aufrufs“.

Die rassistische Eskalation habe Ende der siebziger Jahre mit „offen geäußerten nationalistischen, biologistischen und rassistischen“ Meinungen“ eingesetzt, sagte Essinger. Dem sei ein Rassismus der Parteien gefolgt. Als dessen Höhepunkt bezeichnete er den im Berliner Wahlkampf 89 gesendeten Fernsehspot der „Republikaner“, bei dem Aufnahmen von Türken mit der Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“ unterlegt worden waren. „Mölln war näher, als mancher dachte“, sagte Essinger.

Flüchtlinge seien seit Jahren zum Hauptproblem der Deutschen gemacht worden, kritisierte Nasrin Bassiri vom Verein Iranischer Flüchtlinge. Niemand erwähne aber dabei, daß seit 89 jährlich rund 450.000 AusländerInnen Deutschland verlassen hätten. Frau Bassiri zitierte offizielle Zahlen der Bundesregierung (1989: 438.082; 1990: 465.470; 1991: 497.476) aus einem offenen Brief des SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Conradi.

Die Ergänzungen des bisherigen Verfassungssatzes „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ im geplanten Artikel 16a sind verfassungswidrig, sagte der Asylrechtsexperte Ralf Rothkegel. Alle um Deutschland liegenden Staaten zu „sicheren Drittstaaten zu erklären“, bedeute, eine „Transitfalle“ aufzubauen. Deren Betreten führe gemäß Neufassung des Artikels zum Verwirken des Grundrechts, ohne daß es dagegen Klagemöglichkeiten gebe. Dies löse das „verfassungsrechtliche Zusammenspiel“ von Individualrecht und Rechtswegegarantie auf, sagte der Bundesverwaltungsrichter Rothkegel, der am Bundesverfassungsgericht wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Asylrecht war.

Trotz der bevorstehenden Bundestagsentscheidung glaubt der Frankfurter Politikprofessor Hauke Brunkhorst, „daß die Situation wieder offen ist“. Hunderttausende von BürgerInnen gingen für den Erhalt des Asylrechts auf die Straße. Eine breite Mittelschicht habe damit erkannt, daß die Verfassung zu ihrem und nicht zum Schutz des Staates da sei. Sie führe nun die Debatte über das Selbstverständnis dieser Demokratie. „Wir, die Bürger“, sagte Brunkhorst, „müssen nun Artikel 16 und das System von Menschen- und Bürgerrechten verteidigen.“ cif