Staatsbürgerliches usw.
: Ein Mann will nach oben

■ Braucht München Michael Wolffsohn als Kulturreferenten?

„Der Münchner“, schrieb der Münchner Autor Ludwig Thoma vor über 70 Jahren, „sieht in holden Träumen das Glück stets im Hinaufschnellen der Preise von Quadratschuhen, in der Umwandlung von Wiesen zu Bauplätzen.“ Dieser Spekulationsrausch ist seither nur deshalb ein wenig abgeklungen, weil in der Stadt München längst die letzte Brachwiese zum Bauerwartungsland veredelt ist. Nach wie vor hängt des Münchners ganzes Glück jedoch am guten Geld; am liebsten trüge er die irdischen Insignien seines Erfolgs wie weiland Thomas Großbauern an einer goldenen Kette überm Salvator- Bauch.

Unglücklicherweise ist die Münchner Stadt aber bis hinein in den wildesten Westen Amerikas als Musensitz verschrien, daher bleibt auch dem wertebewußten Münchner nichts anderes übrig, als sich seinen Reichtum mit etwas Kunst zu überzuckern. Nur soll sie, bittschön, auch was hermachen, man gönnt sich ja sonst nichts. Deshalb die Oper, die sich erst kürzlich bei der Gala zum Weltwirtschaftsgipfel wieder in ihrem Weltspitzenniveau präsentieren durfte, daher der Dirigent Sergiu Celibidache, um den uns bekanntlich die ganze zivilisierte Welt beneidet.

Ein Kulturreferent findet in diesem gutgedüngten Subventionsbiotop sein reichliches Auskommen, er muß sich nur in die jeweils herrschenden Verhältnisse schicken. Ja, es waren schon große Zeiten, als in Nürnberg Hermann Glaser als Kulturreferent waltete, der Frankfurter Dezernent Hilmar Hoffmann hieß, und, ja, auch München sich eines mittelgroßen Namens berühmen durfte. Jürgen Kolbe glaubte man Zeit seines zwölfjährigen Wirkens unbesehen, daß er das Wort „Symphonie“ fehlerfrei buchstabieren könne. Doch, ach! es ist dahin, das Goldene Zeitalter! Den Literaten sind Funktionäre gefolgt, Amtswalter, die alle Mühe damit haben, sich gegen die Ansprüche der anderen Ressorts durchzusetzen. Wenn die Asylbewerber untergebracht und die Opfer der menschenfreundlichen Bonner Sozialpolitik auch irgendwie aufgefangen sein wollen, schwindet das gutbürgerliche Recht auf Hochkultur. Dann lappt es gefährlich ins Obszöne, wenn, ein Beispiel nur, der Generalmusikobere der Landeshauptstadt München mit unberechenbaren Gichtanfällen droht, wenn man ihm nicht jetzt gleich, und zwar sofort! das Gehalt, wohin sonst, auf Weltspitzenniveau erhöht.

Die Errungenschaften der Moderne sind in Deutschland leider längst durchgesetzt. Niki de Saint-Phalles Wunderwerke zieren inzwischen sogar das neueste Bonner Museum; jede Kleinstadt läßt irgendwo Richard Serras Kunst am Bau vor sich hin rosten; keine noch so zubetonierte Fußgängerzone muß mehr ohne Klangwolke von Wolfgang Rihm darben. Die eher graue Generation von Kulturverwaltern in den deutschen Großstädten entbehrt keineswegs sämtlicher Reize: Hamburgs Kultursenatorin versteht sich zwar nicht aufs Wort, verfügt aber über eine ungeahnte Expertise im Chauffieren des Abrißbaggers; dafür darf ihre in Nürnberg tätige Kollegin ihren religiösen Wahn ungehemmt und vor allem unkündbar ausleben.

In drei Monaten steht München die Wahl des Kulturreferenten bevor. Die Rüstzeit, schließlich ist's Advent, hat in aller Stille begonnen. Die Erwartungen sind ordentlich herabgestimmt. Vielleicht hat sich auch nur, nicht auszudenken! die Einrichtung des Referenten erübrigt. Der Generalkapellmeiser verhandelt mindestens mit dem Oberbürgermeister persönlich; der Kulturrefefent wird allenfalls gebraucht, um dem staunenden Volk anschließend zu erklären, warum es, das Volk, ohne die ausgefeilschte Erhöhung der Bezüge des Dirigenten nicht mehr weiterleben könne.

Das entscheidende Kriterium für den Posten hat der immer noch ziemlich große Ludwig Thoma schon zur Jahrhundertwende genannt. „Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande.“ Was dem Juristen recht ist, sollte für den nächsten Kulturreferenten nur billig sein. Der gegenwärtige Amtsinhaber in München heißt bekanntlich Siegfried Hummel und hat, wenn auch nichts bewirkt, so doch bisher keiner Fliege etwas zuleide getan – keine schlechte Bilanz zum Ende der demnächst auslaufenden Amtszeit. Für die in der Stadt München unauffällig regierende SPD, deren Kandidat Siegfried Hummel einmal war, also ausreichend Grund, den Mann im Amt zu behalten. Doch siehe da, die SPD ward von einem ungewöhnlichen Innovationshafer gestochen und präsentierte einen Kandidaten mit dem einprägsamen Namen Julian Nida-Rümelin, einen bisher nicht einmal in Fachkreisen aufgefallenen Philosophieprofessor aus Tübingen, der von seiner Kandidatur erst aus der Zeitung erfuhr und sie sofort bestritt.

Was die unvermutet neuerungssüchtige SPD in dieses (wie Karl Valentin gesagt hätte: saudumme) Manöver trieb, war ein Vorstoß der CSU, die ihrerseits einen Professor ins Schaufenster geschoben hatte.

Die Spielfigur der CSU mußte gar nicht erst aus Tübingen importiert werden; auch hat sie sich, anders als der Philosoph, bereits eine gewisse Prominenz erworben. Der CSU-Kandidat Michael Wolffsohn wirkt nämlich, wenn er uns nicht im Fernsehen zu aufrechten Staatsbürgern erzieht, an der Münchner Hochschule der Bundeswehr in Neubiberg als Professor für Neuere Geschichte. Aber auch außerhalb der Universität hat er sich profiliert, zum Beispiel als gerngesehener Kolumnist in der für ihre satte Haselnußtönung bekannten Tageszeitung Die Welt. Dort erzählt er uns regelmäßig, warum die Linke des Teufels ist und wir überhaupt besser dran wären, wenn wir endlich, endlich aus dem Schatten unserer Vergangenheit träten. Vor zweieinhalb Wochen nun gab Professor Wolffsohn in jener Welt eine Performance bei heruntergelassenen Hosen, er feierte, weniger kunstsinnig gesprochen, sein Coming-out als deutscher Nationalist. Mit diesem patriotischen Manifest dürfte es ihm nicht schwerfallen, demnächst neben der dirndlgewandeten Fremdenverkehrsdirektorin Gabriele Weißhäuptl in aller Welt die Münchner Gemütlichkeit zu repräsentieren.

In einem seitenlangen Beitrag, in dessen Verlauf Wolffsohn ausgiebig in sich „hineinhorchte“ und auf seine „inneren Schwingungen“ lauschte, kam er zu einem faszinierenden Ergebnis: „Wenn Deutschland nicht zu einem natürlichen, innenorientierten Nationalismus zurückfindet“, predigt er dem deutschen Volke, „wird es seinen inneren Frieden nicht finden.“

Das ist, um es so feinsinnig schlicht wie Herr Wolffsohn zu formulieren, für unsere große Zeit angemessen groß gedacht. Daß der innere Friede in Deutschland gefährdet ist, hat wohl auch Wolffsohn vernommen, nicht aber, daß es durchweg und sogar leidenschaftlich patriotisch gestimmte junge Männer mit kahlen Köpfen sind, die dafür sorgen, daß es vor Ausländerwohnheimen nicht immer friedlich zugeht. Diesen Neonazis wird man nicht lang beibringen müssen, daß sie sich auf den guten alten deutschen Nationalismus besinnen sollen. Aber Michael Wolffsohn kümmert das nicht, er weiß Rat gegen den Rechtsradikalismus, er kennt das richtige Rezept für den Terror gegen alles Undeutsche: Eine kräftige Dosis deutsches Nationalbewußtsein muß her. Nicht umsonst ist Michael Wolffsohn Historiker: Wenn wir nicht alle so werden wie früher, wie, sagen wir mal, vor 1945, als am deutschen Nationalismus die ganze Welt genesen und anschließend in Scherben fallen sollte, dann finden wir leider nie den Wolffsohnschen inneren Frieden. Tja, da lacht der Skinhead, und der arbeitslose Jugendliche aus Hoyerswerda wundert sich.

Aber ganz im Ernst: Einen besseren Kulturreferenten als Herrn Michael Wolffsohn könnte ich mir für München gar nicht denken. Mit Wolffsohn würde München zum Glanz längst verflossener Tage zurückfinden. Schließlich hat München seinen Weltruf als Hauptstadt der Bewegung zu verteidigen. Willi Winkler