Ein Fall für Fassbinder

Arthur Kopits „Road to Nirwana“ in den Kammerspielen München  ■ Von Eberhard Schubert

„Scheißkammerspiele“: Ein gepflegter Herr um die 55 in feinem Zwirn hatte sich während des Schlußapplauses in der neunten Reihe Parkett rechts ohne Anzeichen innerer Erregung erhoben und das Wort mit dem Ausdruck kalter Verachtung in klar akzentuiertem Hochdeutsch den Künstlern an der Rampe entgegengerufen – verständlich angesichts einer Aufführung, in der über zweieinhalb Stunden hinweg nicht nur, aber überwiegend von Scheiße die Rede war. Ein ermattetes Publikum mochte kaum noch protestieren, weder gegen den Autor Kopit noch gegen den Regisseur Dieter Dorn. Alles egal, „Scheißkammerspiele“ eben.

Doch eigentlich handelte „Road to Nirwana“ vom Filmgeschäft, von Hollywood-Babylon, von der Qual, in diesem Scheißmoloch zu arbeiten; von der Lust, aus Scheiße Gold zu machen, von der Lust der Unterwerfung, passiver wie aktiver, und schließlich der Lust, Scheiße zu fressen, als belebendes Elexier, um sich in die Lage zu versetzen, Hollywood-Babylon zu bedienen.

Wenn der Vorhang zum ersten Akt aufgezogen wird, sind wir nicht bei Herrn Ringelmann zu Gast, auch wenn das Wüstenroth- mäßige Ambiente sehr dafür spricht. Der berühmt-berüchtigte Pool, an dem ein dicker Mann (Lambert Hamel) seinen Kumpel aus längst vergangenen Zeiten (Manfred Zapatka) empfängt, indiziert Hollywood. Die Konstellation – erfolgreich dicker Produzent versus magerer Versager, gescheiterer Dichter und Drehbuchautor – tut das noch mehr. Der Dialog würde gerne die Leichtigkeit einer Screwballkomödie erreichen, doch hindert ihn daran das häufig eingestreute Wort „Scheiße“. Das anfänglich befremdet-höflich klingende Gelächter im Publikum schlägt im Verlauf immer häufiger in jenes gehässig-meckernde Lachen um, das Zoten begleitet, als ob es bei dem, was sich die beiden mitzuteilen haben, um Petitessen ginge.

Unversehens ist nämlich der Screwball in Torquato Tassos Vorgärtchen gesprungen und von dort ins Wüstenroth-Ambiente von Hollywood returniert worden. Nach dem Warmschlagen werden neue Bälle gegeben; es geht unversehens um ein Match, Integrität der Kunst, des Künstlers gegen Geld, Geschäft, non olet. Serve and volley.

Hätte man vorher ins Programmheft geschaut, man wäre nicht so auf dem falschen Fuß erwischt worden. Dort erfährt man, daß Marquis de Sade die Spielregeln für das Scheißspiel lieferte. Die erklären ohne weiteres, warum die beiden Protagonisten so unbefangen der Koprolalie und Koprophagie frönen. Es ist ein „warm-up“ zweier ehemals Verschworener; der Meister wird sich so seines Logenbruders wieder sicher, die arcana werden erinnert, dem „Kuß des Paten“ folgen Prüfungen wie das Aufschneiden der Pulsadern, schließlich das Essen von Nonnenscheiße. Die Dame des Hauses, Lou, die im Tangaslip ein überaus üppiges Hinterteil lüstern über die Bühne wiegt, bekommt diese frommen Ausscheidungen immer in feinster Qualität. Eine Mittdreißigerin verläßt an dieser Stelle den Saal, die Tür laut hinter sich knallend. Nervensache. Ob Manfred Zapatka die Nonnenscheiße gefressen hat? Auch Nervensache. Wahrscheinlich war's Hammelragout. Dieser erste Akt ist ein schandbares Ding, aber als Text auch ein achtbares Kammerspiel. Wenn es ein kleiner Film geworden wäre, R.W. Fassbinder fällt einem ein für diese fatal attraction.

Es ist der zweite Akt, der die wirkliche Katastrophe ist. Lambert Hamel, der Produzent, hat eine Option auf einen Megastar, Frau Nirwana. Die Schaumgeborene entsteigt – nein, nicht der Scheiße, damit ist es endgültig vorbei, das freimaurerische Hollywood mutiert jetzt zum Mysterienspiel. Sie entsteigt der Lustfontäne des „Moby Dick“. So stellt sich das Frau Nirwana vor; der Produzent führt seinen Freund ins Feld, Stars schreiben sich bekanntlich ja immer die schlechtesten Bücher. Frau Nirwana, von der tapferen Sunnyi Melles mit bemerkenswertem Durchhaltevermögen gespielt, hat eine Meise, denn sie hält sich für die Wiedergeburt der ägyptischen Königin Hatschepsut. All das muß das Publikum verdauen und auch, daß in Ermangelung der Abrechnung mit dem Starkult Kopit nun zarte Liebesbande zwischen dem gebrochenen Autoren und der Göttlichen aufblühen läßt. Da geschieht es leicht, daß den beiden die Idee eines gewaltigen Wal- Penisses einfällt, der so groß ist, daß er die Göttin sowohl in sich einsaugen als auch aus sich hinaussprühen kann. Ob solcher Gigantomanie träumt Manfred Zapatka gleich noch vom Autor als Produzent. Damit ist sein Schicksal beschlossen, ab nach Nirwana, zur Strafe unter Zurücklassung seiner zwei Hoden! Er feilscht zwar noch darum, wenigstens einen behalten zu dürfen, muß aber alle Hoffnung fahren lassen. Und andere auch. Weit mehr als sechs Personen suchen einen Autor. Die Kammerspiele haben ihn jedenfalls weder gefunden noch entdeckt.

„Road to Nirwana“ von Arthur Kopit. Regie: Dieter Dorn; Bühne und Kostüm: Jürgen Rose; mit Lambert Hamel, Manfred Zapatka, Sunnyi Melles. Kammerspiele München, nächste Vorstellungen: 18./20./23./28. Dezember