Nicht abschließend diskutiert

■ Zur Situation der Kulturzeitschrift „ndl“

Seit September kriselt es bei einer der wichtigsten deutschen Literaturzeitschriften, der Ostberlinerneuen deutschen literatur (ndl). Sie wurde 1953 gegründet und zu DDR-Zeiten vom Schriftstellerverband herausgegeben. Seit dessen Auflösung ist sie Teil des Aufbau-Verlages. Gegenwärtig werden jedoch gerade etwa 2600 Exemplare verbreitet – ein Verlustunternehmen. Daß dies so ist, war schon bekannt, als Bernd F. Lunkewitz den Verlag im September 1991 als Mehrheitseigner übernahm. Im September dieses Jahres befand er, die Ausgaben für die ndl seien viel zu hoch. Statt einer viertel Million könne der Aufbau-Verlag 1993 höchstens einhunderttausend Mark zuzahlen. Eine solche Kürzung gefährde die Existenz des Blattes sagte daraufhin Chefredakteur Werner Liersch gegenüber der Presse. Damit löste er einen Ansturm von dringenden Bitten und Mahnungen an den Verleger aus. Die beiden deutschen PEN-Zentren sowie zahlreiche SchriftstellerInnen, darunter Christa Wolf, Rainer Kirsch und Rolf Schneider, intervenierten. Gerd Heidenreich, Vorsitzender des PEN-Zentrums (West), setzte sich mit dem Münchener Verlag C.H.Beck in Verbindung: „Um die Zeitschrift zu erhalten, wäre es denkbar, daß mehrere Verleger sie gemeinsam herausgeben.“

Um das Erscheinen der ndl kurzfristig zu sichern, beantragten Werner Liersch, Achim Roscher und Christian Löser Gelder bei den beiden deutschen Literaturfonds in Darmstadt und Berlin. Anfang November schließlich standen 220.000 Mark Zuschuß für 1993 bereit – unter der Bedingung, daß das Bestehen der ndl langfristig ohne derartige Notgelder gesichert werde.

Nach Angaben von Werner Liersch teilte der Verleger in einem Gespräch mit den Redakteuren mit, daß die Redaktion der Monatsschrift verkleinert werden müsse. Sie solle in enger Zusammenarbeit mit der ebenfalls bei Aufbau erscheinenden Weltbühne hergestellt werden. Statt bisher drei werde es in Zukunft nur noch eine Redakteursstelle bei der ndl geben. Dem bisherigen Chefredakteur bot Lunkewitz jedoch im Beisein seines Mitarbeiters Achim Roscher (der derzeit keinen Kommentar dazu abgeben will) an, Herausgeber der Zeitschrift zu werden. Liersch willigte daraufhin in einen Aufhebungsvertrag mit dem Verlag ein.

Am 2.Dezember ließ Verleger Lunkewitz den Chefredakteur vorfristig ablösen. Liersch habe sich mit seinen Äußerungen in der Öffentlichkeit geschäftsschädigend verhalten, teilte Geschäftsführer Heydenbluth mit. Dazu der Vorsitzende des Darmstädter PEN-Zentrums gegenüber der taz: „Es ist sehr suspekt, daß derjenige, der auf die Lage der Zeitschrift in der Öffentlichkeit hingewiesen hat, jetzt abgelöst wird.“

Amtierender Chefredakteur ist derzeit Achim Roscher, seit 37 Jahren bei ndl. Eine Vereinbarung, daß Liersch die Herausgabe der Zeitung übernehmen solle, habe es nicht gegeben, erklärte Geschäftsführer Mathias Heydenbluth. Dies sei vielmehr „eines von mehreren Modellen“ gewesen. Bernd F. Lunkewitz wollte weder bestätigen noch ausdrücklich dementieren, daß es eine solche Absprache über die Herausgeberschaft mit Werner Liersch gegeben habe: „Es sind Dinge diskutiert worden, aber nicht abschließend.“ Wie der Verlag das Erscheinen der neuen deutschen literatur nach 1993 garantieren will und damit der Auflage der Fördergremien nachkommt – dazu mochte sich der Verleger im Moment noch nicht äußern. Die weiteren Beratungen im Verlag seien abzuwarten. „Sicher ist nur, daß ich selbst bereit bin, das (Zeitschriftenprojekt – d.A.) zu tragen“.

Laut Lunkewitz können erst Ende Januar endgültige Aussagen getroffen werden. Über das geforderte Konzept und die Besetzung der Redaktion ab 1993 soll auf einer Beratung am 16. und 17.Dezember entschieden werden. Dem amtierenden Chefredakteur der Zeitschrift – der „selbstverständlich an den Beratungen teilnehmen wird“ (Geschäftsführer Dempewolf) – war am Freitag vergangener Woche der Gesprächstermin jedoch noch nicht bekannt. Er konnte lediglich mitteilen, daß „natürlich über die Verwendung der Gelder nachgedacht werde“. Friederike Freier