■ Nebensachen aus Bukarest
: Ein hochpolitischer Wohnsitz

Herr F. begrüßt mich mit außerordentlicher Höflichkeit. Der Mitarbeiter des Pressestabs im rumänischen Außenministerium plaudert ungezwungen, freut sich, daß ein deutscher Journalist nach Bukarest gekommen ist, fragt nach der Lage in Deutschland und wo ich wohne. „Ich wohne schon seit längerer Zeit in Budapest“, entgegne ich. Schlagartig erbleicht Herr F. Im selben Augenblick wird mir klar, was ich angerichtet habe. Aber es ist zu spät.

„Aha, so ist das“, schreit mein Gesprächspartner, während seine Gesichtsfarbe ins Violette wechselt. „Sie sind also einer von diesen westlichen Schmierfinken, die einmal im Jahr für zwei Wochen nach Bukarest kommen, sich die restlichen elfeinhalb Monate in Budapest amüsieren und immer gegen uns schreiben. Ihr seid alle von der ungarischen Regierung beeinflußt! Ihr seid unsere Feinde!“ Er droht mit dem Zeigefinger, ich wende mich hilfesuchend der Sekretärin zu – die grinst hinter vorgehaltener Hand.

Jetzt habe ich endlich die Dimensionen begriffen. Das ungarisch-rumänische Verhältnis ist so schlecht, daß die Privatadresse Unbeteiligter zur Kriegserklärung wird. Aus den Wortschlachten der beiden Außenministerien gibt es kein Entkommen. Wenn Abteilungsleiter A in Budapest wöchentlich den Ethnozid an der ungarischen Minderheit in Rumänien entdeckt und Abteilungsleiter B in Bukarest daraufhin jedesmal eine riesige Invasionsarmee in das einstmals von Ungarn beherrschte Siebenbürgen einfallen sieht – wie kann ich da meinen Wohnsitz nach ausschließlich praktischen Kriterien wählen?

Als Herr F. atemlos innehält, versuche ich es mit einer sanften Beschwerde. „Sie kennen aber doch weder mich noch meine Artikel und wissen auch nicht, daß ich in diesem Jahr schon sechsmal und insgesamt länger in Rumänien war als in Ungarn.“ Ich zücke meinen Paß, um ihm die Visastempel zu präsentieren, doch er winkt ab. „Schon gut, schon gut“, ruft er aus, „ich bin nun mal ein impulsiver Mensch, sag's, wie's mir in den Sinn kommt. Aber ist das schlecht? Wenigstens wissen Sie gleich, woran Sie sind.“ Er nimmt mich freundlich am Arm und führt mich zum Leiter der Abteilung Nachbarländer.

Auch hier stellt Herr F. seine Impulsivität unter Beweis. Als das Gespräch auf das ungarisch- rumänische Verhältnis kommt, hippelt er nervös in seinem Sessel. Dabei habe ich das Bohrend-Kritische meiner Fragen schon mit mehrfachen Konjunktiven gespickt. Schließlich kann Herr F. nicht mehr an sich halten. Aufbrausend schneidet er dem Abteilungsleiter den soeben begonnenen Satz ab. „Die Ungarn sind schuld! Sie wollen nicht unterschreiben“, schimpft er. Ich hatte wissen wollen, warum sich die Verhandlungen um den neuen Grundlagenvertrag hinziehen.

Nach dem Gespräch nimmt Herr F. mich beiseite. „Es ist nicht persönlich gemeint. Aber es muß ja mal gesagt werden. Übrigens schätze ich ihr Interesse für unsere Außenpolitik sehr.“ Dann legt er sich ins Zeug für mich. Ich hatte ihn gebeten, noch einige Gesprächstermine zu organisieren. Er telefoniert hin und her, schreit in den Hörer, entschuldigt sich bei mir für die Sturheit in anderen Ministerien. Endlich hat er einen Staatssekretär aufgetrieben. Zum Abschied drückt er mir herzlich die Hand, nicht ohne noch einmal die Wohnungsfrage anzusprechen. „Kommen Sie doch einfach her, ziehen Sie um. Wir besorgen Ihnen eine Wohnung, kein Problem.“ Keno Verseck