„Heute die – morgen du!“

Über 100.000 Menschen kamen zum großen Open-air-Konzert gegen Rassismus zum Frankfurter Messegelände/ Grußadressen von Hildegard Knef und Harald Juhnke  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Schon morgens im kühlen, grauen Dezember standen gestern die ersten Grüppchen vor dem Frankfurter Messegelände. Open- air-geübte SchülerInnen kamen mit Rucksäcken und warmen Thermoskannen. Zu Beginn des Konzertes „Heute die – Morgen du! – Künstler für Freiheit Gleichheit – Menschlichkeit“ waren es 100.000 vor den Toren der Festhalle, vor den Monitorwänden und der riesigen, luftballongeschmückten Bühne. Und jede Minute, so die Verkehrsleitplaner und die Polizei, tröpfelten von allen Seiten noch tausend dazu. Hinter der Bühne, auf der das Ortseingangsschild „Toleranz/Main“ den Weg durch den Nachmittag wies, drängten sich die über dreißig KünstlerInnen und ihr Anhang. Small talk und herzliche Begrüßungen, Erbsensuppe, heißer Apfelwein und Weihnachtsstollen wärmten an und auf. Die frierenden Finger und Körper hatten sie statt in den Glitzerlook des Showbusiness in dicke Handschuhe, warme Pullover, Schals und Lederjacken verpackt.

Die Menschen vor der Absperrung hingen inzwischen in Trauben auf den Straßenbahnhäuschen und in den Bäumen. Und nach und nach heizten die Bands, die kurzen Reden, die Grußadressen in schneller Reihenfolge auch den verfrorensten Gästen kräftig ein. Der Schall brach sich unterhalb des Messeturms und am gegenüberliegenden Hotel-Hochhaus, der Lärm aus dem Publikum schallte begeistert zurück. Wunderkerzen glühten, schunkelnde Menschenwellen wogten immer wieder durch die Menge. Wohl noch nie vorher war von einer deutschen Bühne aus so viel und so lauthals vernehmlich die Rede und der Gesang von „Scheiß Ausländerhaß“, gegen Gewalt und Neonazis, für Menschlichkeit. Da wünschten sich die Scorpions zu Beginn mit ihrem Song „The Wind of Change“ in diesem Land für die Opfer der Gewalt, hämmerte Stephan Remmler provokativ die einzige Textzeile des Liedes „Mein Freund ist Neger“: „Für mich ist Neger ein positives Wort!“

Und das war schon eine seltsame Veranstaltung, bei der es gelang, Ute Lemper, Peter Maffay, Rio Reiser, BAP und die vielen anderen unterschiedlichen Interpreten ebenso unter einen Hut zu bringen wie die vielfältigen Grußadressen von Alfred Biolek bis Hildegard Knef und Harald Juhnke und Werner Brösel. Horst- Eberhard Richter mahnte zur weltweiten Solidarität, Anette Humpe und die Prinzen wollten einen „Riesenlärm“ gegen untätige Politiker.

Ministerpräsident Hans Eichel war allerbester Laune. Alle Musikgruppen kenne er zwar nicht, aber „einige doch“, die Scorpions zum Beispiel. Schauspieler und Sänger Uwe Ochsenknecht machte sich am Rande Gedanken darüber, daß Gegengewalt gegen Rechts nichts ändern könne – im Gegenteil. Und es war auch auf einmal gar nicht peinlich, als Ute Lemper nach einem Brecht-Song die ersten Zeilen aus der „Todesfuge“ des jüdischen deutschen Dichters Paul Celan rezitierte: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Der Erfolg des Konzertes hatte am Rande viele begeisterte Väter und Mütter. Hansi Hoffmann, PR- Mann der Dachorganisation der Schallplatten-Hersteller, der Deutschen Phono-Akademie, versuchte Ordnung in das Durcheinander zu bringen, das sich im Vorfeld der nur zehntägigen Vorbereitung ergeben hatte. Es sei, sagte er, eigentlich nur und ausschließlich eine Initiative „der Künstlerinnen und Künstler deutscher Zunge“, von der Akademie in Auftrag gegeben, von der Konzertagentur Marek Lieberberg organisiert, von der Stadt Frankfurt schnellstens möglich gemacht, von der Industrie gesponsert. Ideengeber waren auch die Anregungen und Ideen von Michel Friedmann von der Frankfurter Jüdischen Gemeinde und Marek Lieberberg. Friedmann jedenfalls war die Aufregung anzusehen. Noch vor einigen Wochen hatte er im Angesicht der Gewalttaten verzweifelt gesagt: „Wo sind sie denn alle? Die Erstunterzeichner, die Künstler?“ Hansi Hoffman nahm es gelassener. Das habe eben alles ein bißchen gedauert. Noch nie hätten sie so schnell eine solche Mammutveranstaltung auf die Beine gestellt.

Unkonventionell ging es zu. „Wir haben hier“, sagte einer der Organisatoren, als sich Redner die von der Fernsehübertragung vorgesehene Zeit einfach untereinander teilten, „eben eine demokratische Veranstaltung.“ Und spätestens bei BAP tobte der Platz und stellte sich schon mal auf das gemeinsame Finale ein, das es zum Mitsingen schriftlich gab: „Arsch huh, Zäng ussenander.“ Und: Das Konzert ist nur eine von zahlreichen großen und kleinen Veranstaltungen in der Main-Metropole, in der in den veritablen Weinstuben inzwischen auch mit Obolus für die Opfer der rechten Gewalt angetrunken werden kann, in der die Taxifahrer zum Autokorso riefen und in der am 26. Januar hundertfünfzig SpitzensportlerInnen gegen Rassimus antreten werden.