Ein mühsames Experiment ohne Alternative

■ Ein Jahr Ampel: Haushaltsnot und Sanierungsprogramm halten ungleiche Partner zusammen

Ein mühsames Experiment ohne Alternative

Ein Jahr Ampel: Haushaltsnot und Sanierungsprogramm halten ungleiche Partner zusammen

Es war im März: Einträchtig saßen da die Ampelprotagonisten Wedemeier, Fücks und Jäger nach 100 Tagen Regierung vor der Presse und waren so gut gelaunt, daß sie sogar mit Scrabble-Steinen spielen mochten. „Experiment“ puzzelte Ralf Fücks, „Herausforderung“ meinte Claus Jäger und Klaus Wedemeier fiel gar das Wort „Modell“ ein, um die Ampel zu charakterisieren.

Jetzt hat die Ampel ihren ersten Geburtstag, aber die Lust zum Spielen ist den Beteiligten vergangen. Nicht einmal eine Bilanzpressekonferenz ist angesetzt. Die Stimmung ist nicht nach Feiern und nicht alles läßt sich schönreden.

Dabei ist die Ampel alles andere als politik- und entscheidungsunfähig. Im Gegenteil: Angesichts der dramatischen Haushaltslage, mit der die SPD ihre Zeit der Alleinregierung abschloß, kann sich dieser Teil der Bilanz durchaus sehen lassen. Rigider als dies wohl einer allein herrschenden SPD möglich gewesen wäre, wurden einzelne Begehrlichkeiten abgewendet. Zähne zusammen und durch, heißt das Motto unter dem Druck der Verhältnisse. Und auch die Einigung auf ein Sanierungsprogramm, für das sogar Gewerkschaften, Handelskammer und alle möglichen anderen Verbände zu gewinnen waren, zeigt die Politikfähigkeit des Dreier-Bündnisses. Deshalb wird Bürgermeister Wedemeier nicht müde, diese Leistung als besondere Tat der Ampel herauszustellen.

Allein: Mit dem Thema Selbständigkeit und Finanzen ist vielleicht Respekt zu bekommen, die Identifikation mit Politik, Beifall gar, ist mit der demonstrativ zur Schau gestellten, äußersten Sparbereitschaft nicht zu gewinnen. Dazu bedarf es gemeinsamer Projekte, die tatsächlich die Lebenswirklichkeit der Menschen positiv verändern. Und daran mangelt es.

Beispiel Stadtentwicklung: Zwar ist Senator Fücks mit seinem Lieblingsthema „Öffnung der alten Hafenreviere“ ein Stück weitergekommen, aber bis aus den Plänen Wirklichkeit wird, hat das nächste Jahrtausend begonnen. Und von der Akzentuierung der Weserlinie, um Bremen als Stadt am Fluß aufzuwerten, ist noch lange nichts zu merken.

Beispiel Verkehrspolitik: Während im Koalitionsvertrag geschrieben steht, mit dem Bau neuer Straßenbahnlinien möglicherweise noch in dieser Legislaturperiode zu beginnen, ist inzwischen klar, daß vor 1997 nichts passieren wird. Die Umgestaltung des Ostertorsteinwegs läßt auf sich warten, die vom Durchgangsverkehr befreite Martinistraße ist inzwischen ferne Utopie, die Verkehrsprobleme um die Neuenlanderstraße sind dagegen immer noch bittere Realität. Die überfällige Lösung ist nicht in Sicht. Nicht einmal der Modellversuch „autofreie Innenstadt“ konnte nach Zeitplan durchgeführt werden.

Nicht Inhalte bestimmen die Diskussion innerhalb der Koalition, sondern taktisches Geschick und Stehvermögen

Beispiel Kulturpolitik: Von der verabredeten deutlichen Erhöhung des Kulturetats ist ebenso wenig zu merken wie von der „Stärkung des kulturellen Angebots in unterversorgten Stadtteilen.“ Was bleibt, ist ein deutliches Primat für „Kultur als Standortfaktor.“ Und um die Deutsche Kammerphilharmonie anzusiedeln oder die Glocke luxuszusanieren, macht auch der Wirtschaftssenator für Helga Trüpel seine Schatulle auf.

Beispiel Drogenpolitik: Von der Balance zwischen repressiven Maßnahmen und sozialer Hilfe ist fast nichts mehr zu spüren. Spätestens seit dem Beschluß, den Drogenstrich zu zerschlagen und Hilfsangebote für die Frauen einzustellen, gilt in Bremen: Erst kommt die Polizei und dann die Hilfe.

Ein gemeinsames Projekt sollte die Ampel werden, der Versuch, ökologische, wirtschaftliche und soziale Kompetenz zu bündeln. Daß es dazu nicht kommt, liegt auch an der Ungleichgewichtigkeit der Partner, an taktischem Geschick und an Stehvermögen. Und da ist der rein rechnerisch überflüssige Ampelpartner FDP den Grünen und der SPD um Längen voraus. Die SPD hat den Kampf um Inhalte bis heute nicht aufgenommen. Außer im Bereich Wohnungsbau sind keinerlei sozialdemokratische Akzente spürbar. Sozialpolitik ist in die unnachgiebige Klemme der Finanzpolitik geraten. Die Grünen haben sich in die Rolle eingefügt, das größte Übel zu verhindern und bemühen sich, das Schlimmste für ihr Klientel zu vermeiden. Initiativen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen, wie das Wasserspargesetz, werden von der FDP unterbunden.

Die FDP ihrerseits überdehnt den Koalitionsvertrag, wo immer sie dies für nötig erachtet. Mit der größten Selbstverständlichkeit verlangen die Freien Demokraten räumlich isolierte Gymnasien, in denen keine Klassenzimmer für Haupt- oder Berufsschüler sein dürfen, und verbinden diese im Prinzip sittenwidrige Forderung mit der Drohung: „Sonst ist am nächsten Tag die Koalition zu Ende.“ Mit der größten Selbstverständlichkeit versucht die Wirtschaftsbehörde, angeführt vom Großen Koalitionsbefürworter, Staatsrat Frank Haller, das Nachtflugverbot zur Makulatur zu erklären. Und nachdem die Grünen im wesentlichen eingeknickt sind, wird dennoch weitergepokert. Das Primat der Ökonomie, in Krisenzeiten durch das Arbeitsplatzargument verstärkt, ist längst wieder zur bestimmenden Komponente der Politik geworden.

Die FDP überdehnt den Koalitionsvertrag bis zur Sittenwidrigkeit

Dabei kommt der FDP zu Gute, daß sich die SPD als Partei und Fraktion aus der Politik abgemeldet hat. Zum Thema Flughafen, früher gut für einen Landesparteitag, war von den Sozialdemokraten in der öffentlichen Diskussion kein Wort zu hören. Und in den nichtöffentlichen Senatssitzungen spielen sich Finanzsenator Kröning als starker SPD-Mann und Wirtschaftssenator Claus Jäger regelmäßig die Bälle zu. Der Grüne Ralf Fücks sieht sich da bisweilen schon als Opposition in der Regierung.

Wenig Glanz geht auch vom Personal der Ampel aus. Sabine Uhl rettet bislang einzig der desolate Zustand ihrer Partei und die Angst vor dem Dominoprinzip. Über Häfensenator Uwe Beckmeyer darf auf SPD-Parteitagen unwidersprochen gespottet werden, daß man zum Glück nichts von ihm höre. Sozialsenatorin Irmgard Gaertner hat ihren Kampf für sozialpolitische Inhalte öffentlich immer noch nicht aufgenommen. Bausenatorin Eva-Maria Lemke- Schulte darf sich bei ihrem Staatsrat Jürgen Lüthge bedanken und fällt ansonsten im Senat nicht ins Gewicht. Bildungssenator Henning Scherf versucht sich bislang ohne Ergebnis als Bildungsrefomer zwischen allen Fronten und vollstreckt letzlich doch das Spardiktat. Finanzsenator Volker Kröning fällt es mangels Konkurrenz und angesichts des dominierenden Sanierungsthemas leicht, Punkte zu machen. Und Bürgermeister Klaus Wedemeier steht trotz der Wadenbeißer im Kaiser Friedrich unangefochten inmitten der ganzen Perspektiv- und Alternativlosigkeit seiner Partei.

Die Grünen leben einzig von der Kompetenz und der Rhetorik ihres Umweltsenators. Der muß allerdings aufpassen, daß sein Ruf nicht durch dauernde politische Niederlagen Schaden nimmt. Erste Sprüche über den größten Krötenschlucker der Ampel sind im Umlauf. Ein Einknicken in Sachen Hemelinger Marsch kann sich Fücks nicht mehr leisten. Kultursenatorin Helga Trüpel hat zwar die ersten Turbulenzen überstanden, von neuem Schwung im Kulturressort ist allerdings nichts zu merken. Da kam der Streit mit dem haushaltstechnisch gesehen undisziplinierten Intendanten Heyme gerade recht, um in der alternativen Kulturszene das Gesicht zu wahren.

Richtig zufrieden kann auch personell eigentlich nur die FDP sein. Wirtschaftssenator Claus Jäger — Motto: Immer freundlich, aber unnachgiebig — hat inzwischen sogar die Ampelkritiker in der Handelskammer weitgehend ruhiggestellt. Und Friedrich van Nispen pflegt sein Image vom sachkompetenten, ruhigen, pflichtbewußten Preußen, dessen Bäderkonzept man zwar trefflich kritisieren, dem man aber nicht die Diskussionswürdigkeit absprechen kann.

Trotz aller Probleme und Unzulänglichkeiten ist die Ampel nahezu ungefährdet. Und dies hat zwei Gründe. Zum einen ist die SPD zwar zu schwach zum Regieren, aber erst recht zu schwach für einen Wechsel. Zum zweiten ist auch der CDU bislang nicht eingefallen, wie Politik im Haushaltsnotstand anders zu gestalten wäre. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik regiert in Bremen bereits die Koalition aller Parteien, ausgenommen die DVU, nur, daß die CDU nicht auf der Regierungsbank sitzt. Und so kann sich die Ampel aller Voraussicht nach in Ruhe auf den nächsten Jahrestag vorbereiten. Kaum als Modell, schon gar nicht als gemeinsames politisches Projekt, aber als mühsames Experiment ohne realistische politische Alternative. Holger Bruns-Kösters