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SanssouciVorschlag

■ Jam Sessions im Quasimodo und im Franz-Club

Die Jam Session galt einst als die Akademie des Jazz. So, durch Jammen nämlich, entstand der Bebop – geht die Legende. Auch wenn man heute einen der gestandenen Altjazzer nach den großen Veränderungen fragt, ist Jam das Zauberwort. Kurz: Ohne Jam kein Jazz, zumindest nicht den authentischen. Den man damals auf der Straße lernte.

Die alten Zeiten! Heute nämlich gilt schwarz sein schon lange nicht mehr als Garant für den wahren Jazz, Amerikaner sein schon gar nicht. So kommt es schon mal vor, daß einem gestandenen Profi von einem jungen Nachwuchsdiplomanden bedeutet wird, er spiele falsch. Doch damals, auf den Straßen Harlems oder Chicagos, schwelgte man noch im Sound der Neighborhood. Das war bis in die Sechziger so. Als die Musikhochschulen noch keine Jazzabteilungen hatten, als ein akademischer Abschluß in Sachen Jazz noch ein Antagonismus zum true spirit zu sein schien. Alles, was wichtig war, lernte der junge Nachwuchsjazzer auf eben jenen Jam Sessions. Dort traf man auf die erfahrenen Älteren, die einen oft schon nach den ersten Tönen von der Bühne wiesen. Man ging nach Hause und übte. Um diesen freundlichen Rat ging es; und um die Gewißheit, zukünftig einmal in den erlauchten Kreis der Musicians Community aufgenommen zu werden – Talent vorausgesetzt. Als selbstverständlich galt es dabei, der Community-Hierarchie seinen Respekt zu zollen.

Aus solchem Stoff sind Legenden, etwa die von dem berühmten Becken, welches der Schlagzeuger dem jungen Charlie Parker nachwirft, um ihn von der Bühne zu ordern. Jammen war all das, war Sehen und Gesehen werden. Hier knüpfte man die Kontakte für die ersten bezahlten Gigs – oder man gab auf. Jam Sessions sollen zeitweilig Kriegsschauplätzen geglichen haben – im künstlerischen Wettbewerb unter den Musikern selbst, im Disput mit lärmgeschädigten Nachbarn, unaufmerksamem Publikum und frevelhaften Veranstaltern. Und immer ging es hier ums Leben und Überleben – so unmittelbar und unaufhörlich, daß man irgendwann glaubte, Jazz bedeute eine ganz eigene Lebenshaltung – und Jazzmusiker sein erst recht. Und diese Erfahrung wirkt trotz allem, einem Kulturschock gleich, bis heute fort.

Außermusikalisches soll demnach die Essenz des Jazz sein. Nur das soll dem Instrument zu entlocken sein, was selbst gelebt ist. Auf ein Neues also, ab zur Jam Session und selbst zugehört, was die New Kids den Alten zu bieten haben. Innovatives sollte nicht erwartet werden, Novitäten vielleicht, neue Gesichter jedenfalls. Viel Altes und Bewährtes sowieso. Routine oder Improvisation? Technik versus Sound? – Ewige Streitfragen aus dem musikalischen Generation Gap. Das alles bei freiem Eintritt und mit etwas Geduld – ein verpatzter Set nimmt den nächsten noch nicht vorweg. Zumindest nicht bei einer Jam Session. So ganz wie im richtigen Leben. Christian Broecking

Berlin Jazz Scene-Jam-Session, Quasimodo, Kantstraße 12a, 22 Uhr; Jam im Franz-Club, Schönhauser Allee 36-39, 22 Uhr.

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