Es macht „Poing!“

Techno macht Mühe. Die Abfahrt der dreitausend beim Berliner Mayday III  ■ Von Harald Fricke

Selbst der fröhlich vor sich hin ravenden Marusha von RockradioB mag man nicht so recht glauben, daß sie all die Menschen da unten auf der Tanzfläche wirklich liebt. Als sie kurz nach Mitternacht das Mischpult verläßt, tritt ein neuer DJ für knapp eine Stunde an die Plattenspieler, dann der nächste und so weiter, bis in den Sonntag nachmittag hinein. Techno macht Mühe, kostet 45 DM Eintritt und beglückt weder Underground- noch Mainstream-Überzeugte. Der „Mayday III“ hat inzwischen zwar einen Aktionsradius erreicht, der die Massen in Reisebussen aus Warschau, Rotterdam und Wien anzieht. Aber in der Berliner Halle/Weißensee angekommen, wird die erwartete Ekstase eher aufgeschoben als erfüllt. Es mag an der Routine liegen, mit der unnachgiebig ausschweifend gefeiert wird. Der zu Anfang bei House-Musik erfahrene Spaß am Körper kommt heute ziemlich traurig als Dienstleistung daher. Die Anwesenheit der meisten männlichen Partygänger beschränkt sich auf einige Reflexbewegungen der Brustmuskulatur, die beim Tanzen nicht anders als im Fitneßstudio wogt. Nur die Trainingsgeräte sind im Kraftraum geblieben, die eigentliche Maschine Mensch bewegt sich auch ohne Prothese zielstrebig auf der Stelle, ihre durchschnittliche Erscheinungsform mit Träger-T- Shirt, Sporthose, Ledernacken und Oberlippenbart stimmt eher bedenklich.

Auch die Frauen zeigen zuviel Fleisch und zuwenig Gesten. Sollte Techno als Mehrheitenkultur Pop ersetzt, wenn nicht aufgehoben haben, dann ist zumindest in dessen Hardcore-Fassung ein letzter Rest Stil auf der Strecke geblieben. Die Industrie diktiert das Stimmungsbild. Polydor veröffentlicht im Vorfeld der Party eine Mix-Auswahl, auf deren Wiedererkennungseffekt der eigentliche Event aufbaut. Bei der „Mayday“- Hymne jubelt die Menge kurz auf, alles weitere ist eine Frage der Geschwindigkeit. Je schneller der Beat schlägt, um so stärker macht sich die Distanz zwischen der eigenen Bewegung und der elektronischen Vorgabe bemerkbar. Die Ekstase, der Rave, ist ein Beiprodukt, mit dem diese Kluft überbrückt wird. Bei 152 bpm (beats per minute) erreicht der Stillstand seinen Höhepunkt in der allgemeinen Auflösung von Stroboskop- und Laserlicht, einem dumpfen Baßgeräusch und unentwegt hackenden Trommelsplittern. Total fraktal, das Ganze.

Die Discjockeys sind trotz des indifferenten Rauschens hervorragend, DJ Rok läßt keinen Scratcher aus und spielt mit der Apparatur, als ließen sich die Produktionsmittel unter Extrembedingungen tatsächlich wieder beherrschen. Er agiert diszipliniert wie ein waschechter Rockstar, der sich darüber ärgern kann, wenn ein Break mißlingt und der Gegenrhythmus leicht zeitversetzt in den Viervierteltakt Löchlein reißt. Vor allem zeigt er seine Unzufriedenheit und wirbelt beim nächsten Übergang gleich mehrere Pattern durcheinander. Am Ende bleibt ihm noch Zeit, um eine atmosphärisch-düstere Nummer ohne Unterbrechung durch rückwärts eingespielte Klangsperenzchen laufen zu lassen. Die sonstige Belegschaft verbraucht im Schnitt acht Platten, um für einige Minuten den unkenntlich quietschenden oder grummelnden Fluß am Laufen zu halten. Auch der Song hat die Umstrukturierung nicht überlebt.

Der mittlerweile Legende gewordene Sound of Rotterdam wird dagegen nach den gewöhnlichen Gesetzen der Ökonomie aufgeführt. Unter der Regie eines für Marlboro die Werbetrommel schlagenden Drummers kommt Mayday zur Sache: Es macht Poing!, aber lauter, schneller und härter.

Paul Elstak, dessen Label den Frauenfeind Sperminator und die kettensägenden Euromasters vertreibt, bleibt im Zentrum des letztmöglichen Infernos seltsam ruhig. Keine Energie wird verschwendet. Während der Sturm aus den Boxen die Truppen auf der Tanzfläche erfaßt, bleibt er unbeteiligt hinter dem Pult stehen. Er besitzt Führungsqualitäten, die im Fußballstadion genauso wie in der Disco funktionieren. Und die besseren Platten.